Wenn das Bachbett verstopft

Eine Teststation im Alfbach: Der Nebenfluss der Mosel ist mittelstark kolmatiert. Hier haben sich Feinsedimentpartikel im Porensystem sowie auf der Gewässersohle abgelagert. Wissenschaftler sprechen von innerer und äußerer Kolmation. Foto: Heide Stein

Feinsedimentablagerungen machen Bächen in landwirtschaftlich genutzten Flächen immens zu schaffen. Von nahen Äckern werden oft bei Regen große Mengen Schlamm in die Gewässer gespült, sinken dort ab und verschließen das Lückensystem der Gewässersohle – Lebensraum und Rückzugsgebiet für zahlreiche Kleinstlebewesen. Wird nichts gegen das als Kolmation bezeichnete Phänomen getan, laufen viele der millionenschweren Renaturierungsprojekte von EU und Bund ins Leere, befürchtet Biologe Dr. Hans Jürgen Hahn vom Institut für Umweltwissenschaften, iES Landau. 

Das Phänomen der Kolmation ist seit den 60er Jahren bekannt. Umso unverständlicher findet es Hahn, dass die Kolmation bei der Zustandsbewertung der Fließgewässer nach der Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) keine Rolle spielt. Bis 2015 sollte gemäß dieser Vorschrift ein guter ökologischer Zustand der Fließgewässer erreicht werden. Trotz verbesserter Wasserqualität und Gewässerstrukturen durch Renaturierungsmaßnahmen waren zum vorgesehenen Zeitpunkt in Deutschland nur rund 7 Prozent aller Flüsse und Bäche in einem guten ökologischen Zustand. Heute liegt der Anteil mit rund 8 Prozent kaum höher. Die neue Frist wurde daher auf 2027 verlängert. „Es gibt vermehrt Hinweise, dass der erhöhte Feinsedimenteintrag in unsere Gewässer mit verantwortlich dafür ist, dass der Zielzustand nach WRRL verfehlt wurde“, fasst Hahn die Ergebnisse zweier von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Studien zusammen, die er und sein Team in den Jahren 2017 bis 2021 durchgeführt haben. 

Gerade in landwirtschaftlich genutzten Flächen gibt es eine ausgeprägte Erosion. 10 bis 20 Prozent des Bodenabtrags landen in den nahegelegenen Bächen und beeinträchtigen den ökologischen Zustand der Gewässer. Konservative Berechnungen des Umweltbundesamts gehen davon aus, dass in Deutschland pro Jahr im Schnitt drei Tonnen Sediment pro Hektar abgetragen werden. Das entspricht 300 Tonnen pro Quadratkilometer. Welche Folgen das für ein Gewässer haben kann, veranschaulicht Hahn am Beispiel des durch Landau fließenden Flüsschens Queich, das westlich der südpfälzischen Stadt ein Einzugsgebiet von 200 Quadratkilometern hat: „Stellen Sie sich einen Lastwagen vor, der an der Queich die Ladefläche hebt und 30 Tonnen Schlamm rutschen in das schmale Fließgewässer. Im Verlauf des Jahres kommt alle drei Tage ein weiterer LKW und verteilt dieselbe Menge an abgetragener Erde auf die gesamte Queich.“ Die Mengen an Bodenabtrag, die in Flüssen und Bächen landet, hat Folgen: Der Schlamm verstopft die ökologisch wichtigen Lückensysteme im Bachbett – die Bäche kolmatieren. 

Kolmation ist aber auch ein natürliches Phänomen, denn Erosion tritt natürlicherweise in der Landschaft und im Flussbett selbst auf. „In den Alpen beispielsweise, wo der Bodenabtrag besonders hoch ist, ist in vielen Flüssen Kolmation typisch“, erklärt der Biologe Hahn. Problematisch wird die Kolmation dort, wo sie menschengemacht ist und intakte Bachsysteme schädigt. Schuld am Verstopfen der Bachbettlücken ist Feinsediment. Bei Regen wird es vor allem von offenen, also nicht begrünten Flächen abgetragen und in die Bäche gespült. Die Menge ist abhängig von der Stärke des Regengusses und dem Gefälle der Böden. Wie stark die Kolmation in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen hat, lässt sich nur vermuten. Ein Indiz für die Zunahme ist beispielsweise, dass heute kaum noch Lachsnachwuchs im Rhein zu finden ist, wohingegen die Lachse vor hundert Jahren dort noch überall gelaicht haben. 

„Im Lückensystem lebt alles, was wichtig ist für den Bach“, so Hahn. Kleinkrebse, Würmer, Rädertierchen, Schnecken, Muscheln und viele Wasserinsektenlarven tummeln sich in den Lückenräumen. Je nach Ausprägung des Gewässers leben 95 Prozent der Bachbewohner in dem Lockergestein aus Kies und Schotter. Grobe Lückensysteme sind zudem wichtige Laichplätze für Lachse und Forellen. In einem intakten Bachsystem wird das Sediment durch Bachwasser und aufsteigendes Grundwasser durchströmt und mit Sauerstoff und Nahrung versorgt. Neben dem angespülten organischen Material wie Blattreste ernähren sich die Tierchen durch den Biofilm, der die Sedimentsteine überzieht. Darin leben Bakterien, die den im Wasser gelösten Kohlenstoff als Nahrung umwandeln. Indem die Tierchen den Bakterienrasen abfressen, halten sie das Lückensystem offen und somit den ganzen Bach funktionsfähig. Verstopft das Lückensystem, geht dem Bachsediment im wahrsten Sinne des Wortes die Luft aus: Es wird nicht mehr mit Wasser durchströmt, der Sauerstoff fehlt. Die Folge: Der Lebensraum für die Tiere verschwindet. „Deshalb sind die meisten Aufzucht- und Wiederaussiedlungsprogramme für die Lachse zum Scheitern verurteilt“, unterstreicht Hahn. Dazu kommt: Sind die Lückenräume verstopft, können sich die Bachbewohner bei Hochwasser nicht darin verkriechen und werden fortgespült. 

Gewässerzustand: Rolle der Kolmation

In der ersten DBU-Studie von 2017/2018 haben ein Team um Hahn und Dr. Heide Stein vom iES gemeinsam mit einem Bonner Planungsbüro an 54 Gewässerabschnitten, davon 50 WRRL-Monitoringstellen, die Zusammenhänge zwischen Kolmation, Sedimentdurchlässigkeit, Besiedlung und Bewertung nach WRRL untersucht. „Viele Gewässer erreichen den guten ökologischen Zustand nicht, weil bei der Bewertung eine ‚allgemeine Degradation‘ festgestellt wird“, erklärt Projektleiterin Stein. Das bedeutet, ein Gewässer hat sich nachteilig verändert, ohne dass sich die Gründe dafür konkret benennen lassen. In der Studie konnten die Gewässerökologen einen engen Zusammenhang zwischen Kolmation, Besiedlung der Gewässer und der allgemeinen Degradation feststellen. „Wir gehen davon aus, dass die Kolmation eine wichtige Rolle für die allgemeine Degradation spielt“, so Biologin Stein. Ein Nebeneffekt der Feinsedimentbelastung sind Mikroschadstoffe wie Pflanzenschutzmittel. Diese haften den angespülten Sedimentpartikeln an, wie sich auch in der zweiten DBU-Studie zeigte.

In diesem zweiten DBU-Projekt sind die Landauer Gewässerspezialisten 2018 bis 2021 gemeinsam mit einem wissenschaftlichen Team der RLP Agroscience GmbH in Neustadt an der Weinstraße dem Zusammenhang von Jahreszeitdynamik, Niederschlägen, Pflanzenschutzmittel, Sedimentfracht, Kolmation und Besiedlung auf den Grund gegangen. Dafür wurden die in den Bächen gesammelten Daten mit Modellierungen der Umgebung verbunden. Aus den Erkenntnissen werden Managementmaßnahmen abgeleitet, um der Kolmation Einhalt zu gebieten. „Ziel der Maßnahmen muss es sein, den Oberflächenabfluss in der Fläche zurückzuhalten, damit das Feinmaterial weniger mobilisiert wird und weniger davon in unseren Gewässern landet“, erklärt Stein. Denn, das ist die gute Nachricht: Bäche können auch wieder dekolmatieren.

Aufwändige Datensammlung

Grundlage für diese Managementmaßnahmen ist eine belastbare Datenlage. Dafür haben Projektleiterin Stein und ihr Team in 25 Bächen in ganz Rheinland-Pfalz das Ausmaß der Kolmation gemessen und die Tiere erfasst, die im und auf dem Sediment leben. Zum Einsatz kam ein spezielles Messgerät, das sie mit den früheren Partnern aus Bonn entwickelt haben, das Kolmameter. Dieses misst die Durchlässigkeit des Sediments. Dafür spritzt das Kolmameter mit einem konstanten Druck von 0,1 bar 4 Sekunden lang in 10 bis 15 Zentimetern Tiefe in der Gewässersohle Wasser durch das Sediment. Das Gerät gibt dann an, wie groß die Menge des eingespritzten Wassers und somit die Durchlässigkeit der Gewässersohle ist. Diese Angabe vergleichen die Forschenden mit der Menge an Wasser, die im freien Wasser durch das Kolmameter gepumpt werden kann. Die Differenz der Zahlen ergibt die Durchflussverminderung im Sediment und zeigt den Wissenschaftlern, wie stark es verstopft ist. Weil Kolmation ein dynamischer Prozess ist, wurde an einem Bach, dem Unteren Guldenbach bei Guldental in der Nähe von Bad Kreuznach, über ein Jahr lang monatlich gemessen. Auch sammelten die Forschenden dort die angespülten und abgelagerten Feinsedimente in ausgelegten Matten. Einmal im Monat haben sie die angesammelten Sedimentmengen gewogen und die Korngröße bestimmt. Ergänzt haben sie die Datenlage mit Werten aus einem Trübungsmesser, der alle zehn Minuten die Schwebstoffe erfasste.

Dr. Heide Stein vom Institut für Umweltwissenschaften iES misst mit dem Kolmameter, wie stark das Bachbett mit Feinsediment verstopft ist. Foto: Heide Stein

Diese Daten wurden mit den Modellierungen der Wissenschaftler aus Neustadt kombiniert. Darin haben die Forscher berechnet, wie rund um die Versuchsgewässer der Oberflächenabfluss in bestimmten Niederschlagssituationen ist. Die Modellierungen berücksichtigen auch, welchen Weg das abfließende Gewässer im Gelände nimmt, wo es in den Bach fließt und wo der Bodenabtrag auf den Flächen erfolgt. Die Zusammenhänge aller Daten haben Spannendes ans Licht gebracht: Die Ergebnisse bestätigen die erste Studie und zeigen klare Zusammenhänge zwischen Landnutzung, Kolmation und Gewässerbesiedlung. Die Daten zeigen aber auch, dass Fließgewässer und ihre Sedimente durch viele verschiedene Parameter aus der Umgebung beeinflusst werden. Auch belegen die Daten, dass Kolmation, Dekolmation, Besiedlung und Niederschläge zusammenhängen und offensichtlich einen jahreszeitlichen Zyklus haben. „Die Erkenntnis ist für uns immens wichtig, dass der Zeitpunkt der Probenahme ganz entscheidend für die Bewertung eines Fließgewässers hinsichtlich der Kolmation ist“, so Stein. „Für eine zuverlässige Bewertung ist somit eine Mehrfach-Probenahme erforderlich.“ 

Auf den Gewässertyp kommt es an

Die Untersuchungen der Landauer Umweltwissenschaftler zeigen auch: Manche Gewässer reagieren empfindlicher, wenn Feinsediment eingetragen wird, als andere. Auch gibt es Gewässer, bei denen Kolmation ein natürliches Phänomen ist. Daher wollen Hahn und Stein mit ihrem Team nun Referenzen für den naturnahen Zustand der Gewässertypen als Grundlage für die Bewertung ihrer Daten entwickeln. Damit wird sich in den kommenden drei Jahren eine Doktorandin des Teams beschäftigen.

Bewegung kommt ins Spiel

„Kolmatierte Gewässer können auch dauerhaft wieder dekolmatieren, wenn die Ursachen behoben werden“, erklärt Hahn. Ist das Gewässer einigermaßen dynamisch, kann es innerhalb weniger Jahre, manchmal sogar weniger Wochen sein Lückensystem vom ungewünschten Schlamm befreien. Das Thema komme an den zuständigen Stellen langsam ins Bewusstsein, so Hahn. So beschäftigt sich beispielsweise ein Arbeitskreis der Deutschen Vereinigung für Wasser und Abwasser (DWA), in dem auch Hahn und Stein vertreten sind, mit der Thematik als wichtiges Zukunftsthema. Auch der einzelne Winzer oder Landwirt könne viel bewirken, so Hahn. So würden Weinberge, die parallel zum Hang angebaut würden oder deren Boden komplett begrünt ist, viel dazu beitragen, die Erosion zu vermindern. „Für eine erfolgreiche Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie wäre es wichtig, die Erfassung der Kolmation in die neuen Bewirtschaftungspläne ab 2021 beziehungsweise in vorgezogene Detailbewirtschaftungspläne aufzunehmen“, unterstreicht Hahn. Diese sollten, vor allem auch zur Verminderung der Erosion, einem sehr viel stärker einzugsgebietsbezogenen Ansatz folgen. Rechtlich sollte die Kolmation in den Anhängen der WRRL und auf nationaler Ebene in der Oberflächengewässerverordnung berücksichtigt werden, so ein Vorschlag der Landauer Wissenschaftler. 

Privatdozent Dr. Hans Jürgen Hahn ist Limnologe und Ökologe und arbeitet als Privatdozent im Institut für Umwelt- wissenschaften am Campus Landau. Er ist Geschäftsführer des Instituts für Grundwasserökologie IGÖ GmbH. Nach Studium (1983-1990) und Promotion (1996) an der Universität Gießen und Habilitation (2006) in Landau befasst er sich heute vor allem mit der Ökologie des Grundwassers, der Quellen und der Bachsedimente, aber auch mit der Biologie des Trinkwassers. Vor diesem Hintergrund beschäftigt ihn zunehmend auch der Klimawandel und dessen Auswirkungen auf den Landschaftswasserhaushalt. Ehrenamtlich engagiert sich Hahn beim Bundesarbeitskreis Wasser des BUND und bei zahlreichen regionalen Natur- und Umweltschutzorganisationen. 

Dr. Heide Stein ist Limnologin und seit 2006 wissenschaft- liche Mitarbeiterin an der Universität in Landau und im Institut für Grundwasserökologie IGÖ GmbH. Nach dem Biologiestudium an der Leibnitz-Universität in Hannover und der Universidad Nacional in Heredia, Costa Rica (1999-2005) promovierte sie 2012 in Landau. Überwiegende Forschungsfelder sind Grundwasserökologie, Quellen, Fließgewässersedimente, insbesondere Kolmation und Tiergemeinschaften. 

Studien (eine Auswahl)

Stein H., Thomas K., Schindler H., Trapp M. & Hahn H. J. (2021): Einzugsgebietsbezogene, geodatenbasierte, ökologische Analyse der Fließgewässerkolmation: Grundlage für ein innovatives Lösungskonzept und  die Entwicklung angepasster Maßnahmenvorschläge. Deutsche Bundesstiftung Umwelt. AZ 34435/01 – 33/2.

Stein H., Thurmann C., Schindler H., Zumbroich T. & HAHN H. J. (2018a): Vergleichende ökologische Untersuchungen zur quantitativen Bestimmung der Kolmation von Fließgewässersedimenten mit dem Kolmameter nach Hahn & Zumbroich mit Vorschlägen für eine Verfahrensanweisung. Deutsche Bundesstiftung Umwelt. AZ 33590/01 – 33/2. 

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