Du nicht! Ausgrenzung oder das subtile Mobbing

Soziale Ausgrenzung ist keine Seltenheit. Persönlichkeit ist dabei ein wichtiger Risikofaktor. Wenig verträgliche und unzuverlässige Menschen werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ausgegrenzt, so das Ergebnis einer aktuellen Studie © Christiane Büttner
Ausgrenzung ist so alt wie die Menschheit: Die Gründe, warum Menschen andere ausgrenzen, sind vielfältig. Genauso vielschichtig ist, was Ausgrenzung bei Betroffenen auslösen kann. Foto: Christiane Büttner

Soziale Ausgrenzung ist subtil und daher meist schwer nachweisbar. Umso schmerzlicher ist aber ihre Erfahrung. Die Landauer Sozialpsychologin Selma Rudert erforscht Ursachen, Prozesse und Konsequenzen des weit verbreiteten Zurückweisens. Wichtig ist ihr, ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen. Denn Ausgrenzung hat weitreichende Folgen – für den Einzelnen und die Gesellschaft.

Menschen grenzen Menschen aus. Und das wohl schon immer. Im alten Athen konnten unliebsame oder zu mächtige Bürger für zehn Jahre aus der Stadt verbannt werden. Entscheidend war das Scherbengericht, auch Ostrakismus genannt. In den USA wird die soziale Ausgrenzungsforschung daher unter dem Begriff „ostracism“ zusammengefasst. Darunter versteht man, ausgeschlossen und ignoriert zu werden. Juniorprofessorin Dr. Selma Rudert verwendet im Deutschen den weniger sperrigen Begriff Ausgrenzung. „Für mich ist Ausgrenzung der subtile Bruder von Mobbing“, erklärt die Sozialpsychologin. Während Mobbing ein aktives Verhalten voraussetze, mit dem man jemanden schädigen wolle, sei Ausgrenzung eher passiv. „Ich werde nicht aktiv, sondern tue im Gegenteil etwas nicht, nämlich einer Person Aufmerksamkeit schenken oder sie in eine Gruppe mit einbeziehen“, so Rudert. Die Folge: Die ausgrenzende Person kann für ihr Verhalten häufig nicht direkt verantwortlich gemacht werden, weil sie es leicht als Versehen abtun kann. Oft geschieht ausgrenzendes Verhalten tatsächlich versehentlich, kann aber auch absichtlich eingesetzt werden. „Die Grenze zwischen Mobbing und Ausgrenzung ist fließend“, so Rudert. 

Vielfältige Gründe

Die Gründe, warum Personen andere ausgrenzen, sind jedoch vielfältig – und manche haben auch gar nichts mit böser Absicht zu tun. Ebenso vielschichtig ist, was Ausgrenzung bei Betroffenen auslösen kann. Will man das Thema in seiner Gänze verstehen, ist es außerdem wichtig, so Selma Rudert, auch die Perspektive der Personen zu betrachten, die Ausgrenzung zwar nicht selbst erleben, aber beobachten. Ausgrenzung überhaupt zu bemerken und zu erkennen, ist nicht einfach. Denn direkte Zurückweisung ist eher selten. „Ein typisches Beispiel für Ausgrenzung ist, dass ein Kollege nicht gefragt wird, ob er im Kollegenkreis mit in die gemeinsame Mittagspause kommt“, veranschaulicht Rudert, „oder ich nehme eine Kollegin bei einer E-Mail nicht mit in den Verteiler.“

Welche Ursachen es für Ausgrenzung gibt, wird in der Forschung nur selten betrachtet, obwohl es für Rudert die zentrale Frage ist. Üblicherweise werden die Konsequenzen von Zurückweisung untersucht. Für Rudert hängen Konsequenzen und Gründe zusammen. Sie will mit ihrer Forschung daher die Triebfedern verstehen, um auch die Konsequenzen besser erfassen zu können. „Menschen sind hochgradig sensibel für Ausgrenzungserfahrungen“, unterstreicht Rudert. Und die Forschung zeigt, dass selbst kurze Episoden gravierende negative Auswirkungen auf das menschliche Wohlbefinden haben können. In den kommenden sechs Jahren wird sich Rudert noch intensiver der Frage nach den Gründen für Ausgrenzung widmen können. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat im Frühjahr 2021 Ruderts Antrag auf eine Emmy Noether-Forschungsgruppe bewilligt, die situierte Ausgrenzungsentscheidungen untersuchen wird. „Ich habe ein Modell entwickelt, um zu erklären, wie zielgerichtete Ausgrenzungsentscheidungen zustande kommen“, so Rudert. Die Vorhersagen dieses „Situated Ostracism Model“ (SOM) werden nun in den kommenden Jahren empirisch geprüft und das Modell weiter ausgebaut. 

Auf Basis ihrer Daten hat Rudert schon einige Motive für Ausgrenzung klassifizieren können. Unter anderem grenzen Menschen andere Personen aus, um sie zu bestrafen und sie dazu zu bringen, ihr Verhalten zu ändern. Möglich ist auch, dass Menschen versuchen, sich selbst oder ihre Gruppe zu schützen, weil die ausgegrenzte Person als belastend oder als Bedrohung empfunden wird. Ausgrenzung kann aber auch aus Gründen entstehen, die mit der ausgegrenzten Person nichts zu tun haben. So kann Ausgrenzung auf bestimmte Spielregeln in einer Gruppe und Normen zurückgehen oder auch versehentlich erfolgen. 

Grenzt man eine Person aus, um sie zu bestrafen, erfolgt das oft strategisch. „Anstatt mit der Person, die mich geärgert hat, den Konflikt zu suchen, zeige ich ihr hier die kalte Schulter“, erklärt Rudert. Diese Strategie werde sehr oft angewandt, sei aber nicht zielführend, will man jemanden dazu bringen, sein Verhalten zu ändern. Dazu müsse die Person erst das ausgrenzende Verhalten verstehen, es richtig interpretieren und dann auch noch als Anlass zur Veränderung akzeptieren. „Es kann sehr gut sein, dass die Person, die ich aufgrund eines unerwünschten Verhaltens ausgrenze, sich in Folge erst recht so verhält“, so Rudert. 

Bestimmte situative Bedingungen können Ausgrenzung ebenfalls verstärken: Wenn Arbeitsteams unter Leistungsdruck stehen, werden sie verstärkt dazu neigen, eine Person, von der man annimmt, sie bringe das Team nicht voran, auszugrenzen oder nicht auszuwählen. „Problematisch wird es, wenn es bestimmte gesellschaftliche Gruppen häufiger trifft, beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund“, so Rudert. Hierzu baut die Landauer Sozialpsychologin gerade verstärkt Forschung auf. Erste Daten zeigen: Geht es im Arbeitskontext um Diversität im Team, haben die meisten Menschen eine Wünschenswert- und eine Machbarkeitskomponente. Konkret bedeutet das: Wähle ich für ein anderes Team die Zusammensetzung, finde ich eine Durchmischung schön. Treffe ich die Wahl für mein eigenes Team, dann sehe ich vermehrt den Aufwand, den mir Diversität wie ein Nichtmuttersprachler im Team bringen kann und entscheide anders.  

Katalysator unkooperatives Verhalten 

In Studien mit Forscherkollegen aus Basel und den USA untersuchte Rudert, ob bestimmte Verhaltensweisen und Persönlichkeitsmerkmale das Risiko erhöhen, von anderen Menschen ausgegrenzt zu werden. „Menschen, die sich wenig verträglich und unkooperativ verhalten, sowie unzuverlässig agierende Menschen werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit ausgegrenzt“, fasst Rudert zusammen. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden Beschreibungen von Menschen mit unterschiedlich ausgeprägten Persönlichkeitsmerkmalen vorgelegt, oder sie erhielten Information darüber, wie sich die Person in vorigen Aufgaben verhalten hatte. Im Anschluss mussten sie zum Beispiel entscheiden, ob sie die Person aus einer zukünftigen Gruppenaktivität ausschließen wollten. In anderen Studien sollten sie Angaben dazu machen, wie wahrscheinlich sie der Person gegenüber ausgrenzendes Verhalten zeigen würden.  In den Studien zeigte sich auch, dass auch die Situation eine wichtige Rolle spielt: So werden unfreundliche Menschen insbesondere in sozialen Situationen ausgegrenzt. Dagegen werden in Arbeitskontexten, in denen es auf die Leistung ankommt, insbesondere Menschen ausgegrenzt, die sich durch geringere Zuverlässigkeit oder Kompetenz auszeichnen. 

Ausgrenzung schmerzt

Warum ist die Erfahrung von Ausgrenzung so schmerzhaft? „Wir gehen in der Forschung davon aus, dass durch Ausgrenzung vier fundamentale menschliche Grundbedürfnisse verletzt werden“, erklärt Rudert. Dazu zählen das Bedürfnis, einer Gruppe anzugehören, der Wunsch nach Selbstwert sowie Kontrolle und die Sehnsucht nach einer „meaningful existence“. Damit meint die Forschung, dass eine Person sich danach sehnt, wahrgenommen zu werden. „Gerade das unabsichtliche Ausgrenzen gesteht mir das nicht zu“, unterstreicht Rudert. Ausgegrenzte Personen nehmen sehr oft an, sie hätten keinen Eindruck hinterlassen und es wurde vergessen, dass sie überhaupt existieren. „Ein paradoxes Forschungsergebnis ist, dass Menschen es oft besser verkraften, offen abgelehnt oder aggressiv angegangen als stumm ignoriert und übersehen zu werden“, so Rudert. Denn dann würden sie sich wenigstens als Person wahrgenommen fühlen.

Methodisch setzt die Ausgrenzungsforscherin auf ein Zusammenspiel aus experimentellen Studien im Labor und Befragungen, um dem Phänomen der sozialen Ausgrenzung auf den Grund zu gehen. Wichtige Basis, um die Konsequenzen zu betrachten, ist ein in der Ausgrenzungsforschung prominentes Drei-Phasen-Modell, das „Temporal Need Threat of Ostracism“. Die reflexive Phase beleuchtet den Moment unmittelbar nachdem eine Person Ausgrenzung erlebt hat und ist meist durch ein heftiges Gefühl von Schmerz gekennzeichnet. In der reflektiven Phase überlegt die ausgegrenzte Person, warum es zur Ausgrenzungserfahrung kam und wie sie darauf reagieren wird. Die Resignationsphase umfasst den längeren Zeitraum einer chronischen Ausgrenzung. „Zu den ersten beiden Phasen, die mit Laborexperimenten untersucht werden, gibt es umfassende Forschung“, so Rudert. Großen Erkenntnisbedarf gibt es noch zur dritten Phase, die man nur mit Befragungsstudien untersuchen kann, wie es Rudert und ihre Mannheimer und Basler Kollegen unlängst getan haben.

Diese Studie hat zwei zentrale Ergebnisse: Jüngere Erwachsene erleben mehr Ausgrenzung als ältere und ein verstärktes Maß an erlebter sozialer Ausgrenzung macht es wahrscheinlicher, in den darauffolgenden Jahren an Depression zu erkranken. „Unsere Daten zeigen einen Zusammenhang zwischen erlebter sozialer Ausgrenzung und Alter“, so Rudert. Auch weisen die Daten darauf hin, dass dies mit dem Eintritt ins Rentenalter zusammenhängen könnte. „Der Arbeitsplatz ist eine vergleichsweise häufige Quelle sozialer Ausgrenzung und Menschen können sich oft nicht aussuchen, mit welchen Kolleginnen und Kollegen sie zusammenarbeiten wollen“, unterstreicht die Sozialpsychologin. Die Arbeitswelt ist außerdem häufig von vielen Stressfaktoren geprägt, wie etwa Zeitmangel, Fristen und beschränkte Ressourcen. Wenn Menschen zusammenarbeiten sollen, aber gleichzeitig um Stellen oder Beförderungen miteinander konkurrieren, entsteht ein Klima, das hochgradig anfällig für Ausgrenzung ist. Ausgrenzung schlägt auch aufs Gemüt. So zeigt die Studie generell bei Menschen aller Altersstufen Zusammenhänge mit schlechterer Stimmung und geringerer Lebenszufriedenheit. Besonders gravierend sei, so die Wissenschaftlerin, dass Menschen, die von häufigerer Ausgrenzung berichten, ein höheres Risiko aufweisen, wenige Jahre später an einer Depression zu erkranken. „Viele dieser Zusammenhänge funktionieren vermutlich in beide Richtungen, so dass ein regelrechter Teufelskreis entstehen kann“, schätzt Rudert. Auch wenn noch weiterer Forschungsbedarf besteht, um die Mechanismen hinter diesem Teufelskreis genauer zu untersuchen, vermuten Rudert und ihre Kollegen aufgrund der aktuellen Daten und vorangehender Forschung, dass häufige Ausgrenzung menschliches Wohlbefinden verringert und sozialen Rückzug sowie misstrauisches und feindseliges Verhalten gegenüber anderen verstärken kann. Als Reaktion darauf werden die Betroffenen womöglich noch häufiger ausgegrenzt.

Maßnahmen gegen Ausgrenzung

Auch wenn Ausgrenzung im Vergleich zu Mobbing unterm Radar fliegt und daher oft unentdeckt bleiben kann, sind die Auswirkungen beim Einzelnen aber auch für die Gesellschaft groß. Mit ihrer Forschung will Rudert dazu beitragen, „dass wir verstehen, wie und warum so ein Verhalten zustande kommt und was man tun kann, damit es eben nicht häufig vorkommt, weil wir die negativen Folgen kennen“, so Rudert. Daher sei es wichtig, dass Politik, Unternehmen und Schulen sich dieses Problems gewahr werden und Umgebungen schaffen, die weniger zu Ausgrenzung anregen. „Dazu gehört das Schaffen einer Konfliktkultur, in der Probleme und Streit offen angesprochen werden können“, so Rudert. Sich den Ursachen und Folgen von sozialer Ausgrenzung bewusst zu werden ist darüber hinaus wichtig, weil das Themenfeld eine hohe aktuelle Relevanz hat: „In vielen gesellschaftlichen Debatten beispielsweise zu Integration und Migration, Diversität, Gleichstellung und Inklusion geht es letztendlich auch um Fragen der sozialen Ausgrenzung“, so Rudert. 

Dr. Selma Rudert ist Diplom-Psychologin und seit 2018 Inhaberin der Juniorprofessur für Sozialpsychologie am Campus Landau. Sie studierte Psychologie an der Universität Mannheim (2006-2012) und verbrachte ein Auslandssemester an der Bond University (Australien). Nach ihrem Studium wechselte sie für die Promotion (2016) an die Universität Basel und forschte 2015 als Gastwissenschaftlerin an der Purdue University (USA). In ihrer Forschung befasst sich Selma Rudert mit sozialer Ausgrenzung, sozialen Normen und moralischem Urteil. Insbesondere beschäftigt sie die Frage, wieso Menschen andere ausgrenzen und unter welchen Umständen sie sich dafür entscheiden, mit anderen zu kooperieren. Zuletzt konnte Selma Rudert eine renommierte Emmy Noether Forschungsgruppe von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Thema „Situierte Ausgrenzungsentscheidungen“ einwerben. Selma Ruderts Forschung wurde in internationalen Top-Fachzeitschriften publiziert und von den Medien aufgegriffen.  

Studien & Veröffentlichungen (eine Auswahl)

Rudert, S. C., Janke, S., & Greifeneder, R. (2021). Ostracism breeds depression: Longitudinal associations between ostracism and depression over a three-year-period. Journal of Affective Disorders Reportshttps://doi.org/10.1016/j.jadr.2021.100118

Rudert, S. C., Janke, S. & Greifeneder, R. (2020). The experience of ostracism over the adult life span. Developmental Psychology, 56(10), 1999-2012. doi: https://doi.org/10.1037/dev0001096

Rudert, S. C., Keller, M., Hales, A. H., Walker, M., & Greifeneder, R. (2020). Who do we ostracize? A personality perspective on risk and protective factors of ostracism. Journal of Personality and Social Psychology, 118(6), 1247-1268. https://doi.org/10.1037/pspp0000271

Buchpublikation

Rudert, S.C., Greifeneder, R. & Williams, K.D. (2019). Current Directions in Ostracism, Social Exclusion and Rejection Research. Routledge.

Das Thema in den Medien (eine Auswahl)

Forschung zu Mobbing: Warum bestimmte Menschen ausgegrenzt werden. Deutschlandfunk

Exclusion, Rejection, and Assigning Blame. Similarity between the target and the source influences attribution of blame. Psychology Today

Selber schuld? – Wie Menschen die Ausgrenzung anderer beurteilen. NZZ

Schweigen ist Gift. SZ

Arbeitswelt: Diversität? Ja, aber. FAZ

  

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