Warum die Paarbeziehung nicht aussterben wird

Gemeinsam durchs Leben gehen: Die meisten Menschen wünschen sich eine erfüllende Zweierbeziehung. Dieses Lebensmodell verspricht das größte Glück und ein Optimum an Lebensfreude. Foto: Colourbox

Studiere ich? Oder gehe ich vorher ein Jahr nach Australien? Wohne ich weiterhin in meinem Heimatort? Oder bewerbe ich mich auf die Traumstelle in einer 800 Kilometer entfernten Stadt? Mache ich mich selbstständig? Oder steuere ich in den sicheren Hafen einer Festanstellung? Noch nie hatten Menschen hierzulande eine so große Auswahl, ihr Leben zu gestalten. Soziologen sprechen gar von einer „Multioptionsgesellschaft“. Es scheint, als liege ein Meer an unendlich vielen Möglichkeiten vor uns. Doch was macht diese Freiheit mit einer Gesellschaft? Und vor allem: Was macht sie mit einer der wichtigsten Sache in unserem Leben – unserem Liebesleben? Nutzen wir auch hier die Spielwiese an Möglichkeiten? Getreu dem Motto: Erlaubt ist, was gefällt. Genau mit solchen Fragen beschäftigt sich der Soziologe Professor Dr. Thomas Müller-Schneider. Im Rahmen seiner Forschung will er beispielsweise herausfinden, ob wir heutzutage nach anderen Beziehungsmodellen streben als noch vor 50 oder 100 Jahren. Auch weil uns Traditionen und gesellschaftliche Zwänge heutzutage weniger stark dominieren.

Als Wissenschaftler nähert er sich dem Thema, indem er Befunde zur Biologie der Liebe und Paarbindung zusammenträgt – und diese mit eigenen Umfragen zum Liebesleben verknüpft. Im Rahmen einer Untersuchung hat er so 10.000 Studierende und etwa 1.000 Bewohner einer westdeutschen Großstadt befragt. Die Zusammenstellung der Probanden kommt nicht von ungefähr: „Das Liebesleben von Studierenden ist allein deshalb interessant, weil diese in einer Lebenssituation sind, in der sie sich besonders ungebunden ausleben oder neue soziale Formen des Liebeslebens erproben könnten“, erklärt Müller-Schneider. Studierende seien in diesem Fall also so etwas wie der Seismograf möglicher Trends, die in der Gesamtgesellschaft vielleicht nicht oder noch nicht zu beobachten sind. Die Befragung einer großstädtischen Bevölkerung dient zum Vergleich.

In den Befragungen will Müller-Schneider einiges über das Liebesleben seiner Probanden erfahren: Ob sie in einer festen Beziehung leben. Wie wichtig ihnen Treue ist. Ob sie schon einmal fremdgegangen sind. Oder etwa, ob sie sich eine offene Beziehung vorstellen können.

Die allermeisten Menschen wünschen sich eine feste, lebenslange Beziehung

Die Ergebnisse sprechen laut Müller-Schneider eine eindeutige Sprache: „Bei der Mehrheit der Probanden zeigte sich der Wunsch nach einer festen und lebenslangen Beziehung. Sie wollen keine Lebensabschnittsgefährten oder Ähnliches.“ So gaben die Studierenden zu knapp 82 Prozent an, in ihrem weiteren Leben nur noch eine einzige – oder nur die jetzige – Beziehung haben zu wollen. Wesentliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen konnte der Wissenschaftler nicht feststellen. Nur 17 Prozent der Befragten wünschen sich mehr als eine Beziehung und lediglich ein Prozent sagt, keine feste Beziehung mehr zu wollen.

In der großstädtischen Bevölkerung liegt der Prozentsatz derjenigen, die sich für ihr gesamtes Leben nur eine – oder nur die jetzige – Beziehung wünschen bei 86 Prozent. Die Neigung zu einer festen Bindung spiegelt sich auch bei der Sexualität wieder: Mehr als 90 Prozent aller Geschlechtsverkehre finden innerhalb einer festen Beziehung statt.

Sexuelle Treue ist den meisten wichtig

Und wie sieht es mit der sexuellen Treue innerhalb einer Beziehung aus? Auch das wollte der Soziologe Müller-Schneider von den Probanden genauer wissen. Denn glaube man so manchen Medienberichten, „dann könnte man auf den ersten Blick meinen, dass Fremdgehen eine völlig gewöhnliche Angelegenheit ist.“ Im internationalen Vergleich mit wissenschaftlich verlässlichen Daten zeige sich aber, dass viele Zahlen stark übertrieben sind. 

In der großstädtischen Bevölkerung gaben – bezogen auf die aktuelle Beziehung – 17 Prozent an, schon einmal sexuell betrogen zu haben. Liierte Studierende geben zu knapp neun Prozent an, während ihrer Beziehung schon einmal fremdgegangen zu sein. „Die Mehrheit ist während einer bestehenden Beziehung also treu.“ Seitensprünge sind längst nicht so häufig, wie mancher Medienbericht vermuten lässt. Dennoch kommen sie vor. Was dahinter steckt? Der Begriff „Soziosexualität“ fällt bei Müller-Schneiders Erklärungsansatz. Gemeint sind sexuelle Kontakte ohne tiefere emotionale Bindung. Psychologen kennen mehrere Gründe für Soziosexualität: Es geht um das Erleben von etwas Neuem, vielleicht ein Abenteuer oder die Absicht, die eigenen Verführungskünste zu verbessern.

„Wirklich glücklich sind die allermeisten Menschen aber nur in einer Zweierbeziehung“, attestiert Müller-Schneider. „Die exklusive Paarbeziehung ist und bleibt das vorherrschende und für die große Mehrheit auch das optimale Beziehungsmodell“, zieht er als Fazit aus seinen Untersuchungen. „Wir steuern keiner Ära entgegen, in der große Gefühle und romantische Idealisierung verschwinden.“ Die große Mehrheit der Menschen will sich verlieben – und eine Partnerschaft eingehen, die idealerweise ein Leben lang hält. 

„Meine Forschung hat gezeigt, dass Paare deutlich glücklicher sind als Singles, weil sie ihr Liebesleben als sehr viel schöner empfinden als jene, die mangels Beziehung auf One-Night-Stands zurückgreifen müssen.“ Geht es um Erklärungsansätze dafür, dann holt Müller-Schneider weit aus: Der kulturelle Leitwert westlicher Gesellschaften spiele eine Rolle. Der Leitwert, der unsere Handlungsweisen maßgeblich beeinflusst sei die Lebensfreude. Vereinfacht gesagt: Menschen streben nach Lebensfreude und Glück, nach einem Optimum an schönen Gefühlen. Und die schönsten Gefühle verspricht eine intakte feste Beziehung.

Die Paarbindung ist nicht von der Gesellschaft aufgezwungen 

Der Wunsch nach Glück komme laut Müller-Schneider aus unserem Inneren und nicht, weil uns etwas von außen aufgezwungen wird. Ansätze, die das neurobiologisch erklären, gibt es: Das Belohnungssystem im Gehirn scheint eine Rolle zu spielen. Wird es stimuliert, dann belohnt es uns mit schönen Gefühlen. Tatsächlich haben Untersuchungen der vergangenen Jahre gezeigt: Zeigt man liierten Probanden Bilder ihrer Partnerin, dann wird das Belohnungszentrum stimuliert. Dieser Effekt zeigte sich nicht, wenn die gleichen Probanden lediglich Bilder einer Bekannten gezeigt bekamen. Eine Region im Gehirn redet also ein Wörtchen mit, wenn es darum geht, die Bindung zwischen Liebenden aufrecht zu halten und die Monogamie zu fördern. 

Gehirn-Untersuchungen haben außerdem gezeigt, so erklärt es Müller-Schneider, dass bei Liebenden ähnliche neuronale Schaltkreise aktiv sind, wie sie auch bei der Mutter-Kind-Liebe – oder der elterlichen Bindung – zu finden sind. All das seien Hinweise darauf, dass Liebe und Paarbindung keine Erfindungen Hollywoods sind, sondern ein biologisches Fundament haben. Müller-Schneider: „Die Soziologie sitzt einem Irrtum auf, wenn sie meint, dass die Menschen auf den Mythos der romantischen Liebe hereinfallen oder die Paarbindung von der Gesellschaft aufgezwungen ist.“ Durch gesellschaftlichen Wandel werden die Menschen zwar freier. Trotzdem bevorzugen sie Zweierbindungen – es liegt in der Natur, in der Biologie. Das würde auch erklären, warum überall auf der Welt die Paarbeziehung dominiere.

Unverbindlicher Sex ist bestenfalls die zweitbeste Lösung

„Unverbindlicher Sex ist bestenfalls die zweitbeste Lösung, solange man niemanden liebt und offene Beziehungen sind nur für die allerwenigsten überhaupt erträglich.“ Ausnahmen vom Wunsch einer Zweierbeziehung jedoch gibt es: Polyamorie sei ein Beispiel, erklärt Müller Schneider. Das Phänomen beschreibt die Fähigkeit, mehrere Menschen auf einmal lieben zu können. „Die meisten lehnen Polyamorie aus Eifersucht von vornherein ab.“ Aber einige wenige Menschen haben eine Neigung dazu. Sie seien aber nur genau so glücklich wie Paare einer Zweierbeziehung. Hinzu kommt, dass bei ihnen – gehen sie mehrere Liebesbeziehungen gleichzeitig ein – alles wesentlich komplizierter ist: „Es braucht klare Regeln für alle Beteiligten, damit Polyamorie überhaupt funktionieren kann. Im Prinzip ist es so, dass diese Menschen sehr viel mehr Aufwand betreiben müssen, um das gleiche Glück wie Paare zu erleben.“

Mit mehr Wohlstand steigt auch die Suche nach individuellem Glück

Die meisten Menschen streben also nach einer festen Paarbeziehung, weil genau dieses Lebensmodell das größte Glück und ein Optimum an Lebensfreude verspricht. Lebensfreude und Glück – diesen Themen will sich Müller-Schneider auch im Rahmen von weiteren Forschungsprojekten widmen. Dabei soll es aber nicht unbedingt vorrangig ums Liebesleben gehen. Er will der Frage nachgehen, welche Folgen es für Gesellschaften haben kann, wenn sich im Zeitalter des Glücksstrebens weltweit Lebensstile verändern. Müller-Schneider richtet seinen Blick dabei auf aufstrebende Länder wie etwa China oder die arabischen Länder. Er verfolgt dabei den Gedanken: Je reicher eine Gesellschaft wird, desto stärker ist sie nach innen orientiert. Soll heißen: Das individuelle Glück steht – ab einem gewissen Wohlstand einer Gesellschaft – für den einzelnen im Vordergrund. „Schauen Sie sich die arabischen Länder an. Die Frauen wollen raus. Sie wollen Autofahren und vieles andere. Das wollen sie von sich aus, und nicht etwa weil sie ein westliches Lebensmodell kopieren.“ 

Traditionen und gesellschaftliche Vorgaben geraten bei aufstrebenden Ländern mehr und mehr in den Hintergrund. Laut Müller-Schneider stelle sich dann die Frage, ob Spannungen entstehen, wenn sich dadurch möglicherweise die kulturelle Identität eines Landes verändert. „Eine Gesellschaft bleibt nicht die gleiche, wenn alle nach Konsum streben.“ Wie die Entwicklung aussehen könnte, will der Soziologe herausfinden. „Immer mehr Gesellschaften streben nach Glück und Zufriedenheit. Es stellt sich dann auch die Frage, ob das einen Einfluss auf die Umwelt hat.“ Was etwa passiert, wenn alle in aufstrebenden Wirtschaftsnationen wie China ihr eigenes Auto fahren wollen. Das Streben nach Glück zeigt sich in vielen Lebensbereichen. Die Auswirkungen sind noch nicht abzuschätzen: Wird es Konsequenzen geben, die im Nachhinein als negativ beurteilt werden? Wie auch immer: Dass das Streben nach Lebensfreude und Glück der Kitt einer stabilen Zweierbeziehung ist, wird für die allermeisten Menschen eine positive Nachricht sein.

Thomas Müller-Schneider studierte Soziologie an der Universität Bamberg. Nach der Habilitation 1999 im Fach Soziologie und einer Tätigkeit als Privatdozent in Bamberg ist er seit 2003 Professor für Soziologie am Campus Landau. Seine Forschungsschwerpunkte sind Methoden der empirischen Sozialforschung, Sozialstruktur und Lebensstile und sozialer Wandel.

Buch-Tipp

Thomas Müller-Schneider, 2019: Liebe, Glück und menschliche Natur. Eine biokulturelle Analyse der spätmodernen Paargesellschaft. Psychosozial-Verlag, Gießen.

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