Wissenschaft kommunizieren – aber wie?

Wissenschaft zu kommunizieren, hat es in sich. Eine Herausforderung: komplexe Sachverhalte für den Laien verständlich aufbereiten und dabei nicht verzerren. Foto: Colourbox

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind nicht in Stein gemeißelt, oft nur vorläufig und gelegentlich auch widersprüchlich. Das war schon immer so. Für alle, die wissenschaftliche Ergebnisse in die Öffentlichkeit kommunizieren, bedeutet das eine Herausforderung. Mit der Corona-Pandemie haben wir den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess live miterlebt. Dabei wurde gleichzeitig die Tatsache deutlich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse oft mit Unsicherheiten verbunden sind. Bei vielen Menschen hat dies zu Verunsicherungen geführt. Gleichzeitig ist der Bedarf an wissenschaftlichen Informationen gestiegen. Wie lässt sich wissenschaftliche Evidenz und somit die Frage, welche Kriterien gut erfüllt sein müssen, damit eine Forschungsthese ausreichend belegt ist, gut kommunizieren? Wo sind die Fallstricke? Welche Chancen bietet der Wissenschaft dieses verstärkte Interesse der Öffentlichkeit? Darüber hat NeuLand digital mit Professorin Dr. Michaela Maier, Professor Dr. Stephan Winter und Dr. Berend Barkela gesprochen. Am Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik untersuchen sie Wissenschafts- und Umweltkommunikation.

Es gibt zahlreiche Formate, die Wissenschaft thematisieren – ob Wissensseiten in Tageszeitungen, Print-Magazine, verschiedenste TV-Formate, Blogs oder zunehmend auch Podcasts. Es besteht offensichtlich ein großes Interesse an wissenschaftlichem Wissen und das nicht erst seit Corona. Wie erklären Sie sich das?

Barkela: Ein zentrales Motiv, aus dem Menschen Wissensformate nutzen, ist ein ganz allgemeines Informationsinteresse. Sie möchten etwas lernen, die Welt verstehen oder bei Gesprächen mitreden können. Das findet sich aber auch gepaart mit einem Unterhaltungsinteresse. Viele Menschen sagen zum Beispiel, sie gucken Wissenschafts-TV zum Spaß oder zur Entspannung. Sie möchten abschalten und gleichzeitig etwas Sinnvolles tun. Menschen suchen aber auch gezielt nach bestimmten Themen in solchen Formaten, weil sie angewiesen sind auf die Einordnung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse, um daraus Hinweise für Entscheidungen im Alltag abzuleiten. Etwa zur gesunden Ernährung, zu nachhaltigem Konsum oder für medizinische Behandlungen.

Worin sehen Sie denn das Besondere oder die Herausforderung, wenn man wissenschaftliche Erkenntnisse kommuniziert?

Winter: Es ist auf jeden Fall eine Herausforderung, komplexe Sachverhalte so aufzubereiten, dass sie auch für Laien verständlich, aber gleichzeitig nicht falsch oder verzerrt sind. Das heißt, die Inhalte sollten den internationalen Forschungsstand angemessen wiedergeben. Den zu überblicken, ist auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht einfach. Man braucht also als Journalistin oder Journalist einen Überblick über die Disziplinen, über die man schreibt, und Hintergrundwissen zum wissenschaftlichen Arbeiten – nur so kann man einzelne Studien sinnvoll einordnen.

Barkela: Eine große Herausforderung ist außerdem, dass die Wissenschaft selten endgültig ist. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse, insbesondere sehr aktuelle, sind oft unsicher oder sogar widersprüchlich. Dann ist es schwierig, klare Handlungsempfehlungen zu geben. Es gibt durchaus Menschen, die sich intensiv mit solchen wissenschaftlichen Diskursen beschäftigen und dann Entscheidungen treffen. Meist erwartet das Publikum aber eine klare Empfehlung von Journalistinnen oder Journalisten. Wenn viele Unsicherheiten bestehen, kann das zum Problem werden bei individuellen Entscheidungen, aber auch für Verantwortliche in Politik oder Wirtschaft.

In Ihrer Forschung beschäftigen Sie sich mit dem gesamten Prozess der Wissenschaftskommunikation, schauen, wie die Unsicherheiten von den verschiedenen Zielgruppen wahrgenommen werden und wie die unterschiedlichen Kommunikatoren – von Forschenden, Uni-Pressestellen bis hin zu den Medien – damit umgehen. Welche Fallstricke können hier denn auftauchen?  

Barkela: Innerhalb der Wissenschaft gehören Debatten über Unsicherheiten und Widersprüche zum normalen Erkenntnisprozess. Wenn Wissenschaft an die Öffentlichkeit kommuniziert wird, werden wissenschaftliche Erkenntnisse und – wenn es sich um neueste Erkenntnisse handelt – deren Unsicherheiten Gegenstand öffentlicher Debatten. Dann gelten nicht mehr nur die Prozesse der Wissenschaft. In der öffentlichen Arena treffen verschiedene Interessen und Ansprüche aufeinander. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler versuchen dabei durchaus, ihre Unsicherheiten deutlich zu machen, haben aber auch Sorge, das Publikum zu verunsichern und verzichten dann manchmal darauf. Pressestellen von Universitäten neigen teilweise dazu, Unsicherheiten zu vernachlässigen, weil sie erwarten, dass somit die Medien eher über Erkenntnisse berichten. Interessengruppen aus Politik und Wirtschaft wiederum interpretieren die Unsicherheiten häufig im Interesse der eigenen Institution. Am Beispiel von Zukunftstechnologien konnten wir zum Beispiel zeigen, dass mögliche, aber bislang nicht nachgewiesene Risiken von Seiten des Verbraucherschutzes überbetont werden und von Vertreterinnen und Vertretern der Industrie untertrieben werden. Journalistinnen und Journalisten sehen ihre Aufgabe nicht in der passiven Vermittlung dieser verschiedenen Debattenbeiträge. Sie wählen daraus aktiv aus und bei der Darstellung von Unsicherheiten berücksichtigen sie die Informationsinteressen, die sie bei ihrem Publikum erwarten. Wenn sie erwarten, dass ihre Zielgruppen ein Interesse an einer Auseinandersetzung mit der Komplexität wissenschaftlicher Ergebnisse haben, gehen sie auch darauf ein. Andere Journalistinnen und Journalisten erfüllen eher das Bedürfnis danach, klare Empfehlungen zu geben und verzichten auf die Darstellung von Unsicherheiten.

Maier: Das kann einem aber natürlich übel auf die Füße fallen und der Glaubwürdigkeit von Wissenschaft und Journalismus schaden, nicht nur in Zeiten von Corona.

Wie sollten Wissenschaftskommunikatoren mit diesem unterschiedlichen Bedürfnis umgehen? 

Maier: Die Wissenschaftskommunikation muss sich die sehr unterschiedlichen Zielgruppen noch besser erschließen und die für sie jeweils relevanten Kommunikationskanäle bedienen. Wissenschaftskommunikation darf null elitär sein. Die Corona-Krise hat nochmal verdeutlicht, dass wir auch Kommunikationsbrücken zu Zielgruppen bauen müssen, die kein GEO- und kein Drosten-Podcast-Abo haben. Für diese unterschiedlichen Zielgruppen muss Wissen unterschiedlich aufbereitet werden, wobei man sich die unterschiedlichen Interessen ja auch durchaus zu Nutzen machen kann. Fragen der (Un-)Sicherheit wissenschaftlicher Evidenz müssen jedoch erörtert werden. Das sollte für uns in der Kommunikation mit wissenschaftlichen Laien ebenso selbstverständlich sein, wie es die kritische Selbstreflexion am Ende jedes Journalartikels ist.

Barkela: Es ist natürlich auch denkbar, auf der Seite der Zielgruppen das Verständnis für wissenschaftliche Erkenntnisprozesse und eine gewisse Ambiguitätstoleranz gegenüber wissenschaftlichen Unsicherheiten, also eine Ungewissheitstoleranz zu fördern. Eventuell muss das schon in der schulischen Bildung verankert werden.

Durch die Corona-Pandemie sind wissenschaftliche Debatten stärker in die Öffentlichkeit gerückt. Gleichzeitig wurde vermehrt über wissenschaftliche Erkenntnisse kommuniziert und das in einem laufenden Prozess. Das hat Personen auch verunsichert und an deren Vertrauen in Wissenschaft gerüttelt. Was können wir denn aus diesen Erfahrungen mitnehmen? 

Winter: Die Corona-Pandemie zeigt eigentlich sehr gut, wie wissenschaftliches Arbeiten üblicherweise abläuft – nur schneller und bei massiver Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Befunde sind vorläufig, der Wissensstand kann sich ändern, wenn neue Erkenntnisse hinzukommen – das haben wir zum Beispiel gesehen bei den Einschätzungen zur Wirkung von Masken, zu den Übertragungswegen von Corona und bei den Daten zur Effektivität von Impfstoffen. In der Politik oder auch in der Öffentlichkeit erwartet man allerdings eher klare Aussagen. Und wenn sich dann beispielsweise ergibt, dass man nach sechs Monaten noch eine dritte Impfung benötigt, kommt oft der Vorwurf, dass man das zu Beginn der Impfkampagne noch nicht im Blick hatte. 

Unsere Studien zeigen allerdings eher, dass das Offenlegen von wissenschaftlicher Unsicherheit nicht zwingend zu einem Vertrauensverlust führt – aber das ist abhängig vom Wissenschaftsverständnis der Bevölkerung und von der Art der Darstellung von Unsicherheiten. Christian Drosten hat beispielsweise in seinem Podcast oft Unsicherheiten deutlich gemacht und darauf hingewiesen, wenn Dinge noch nicht klar sind – das war aus meiner Sicht wirklich sehr transparent. Von den Medien, der Politik oder der Bevölkerung sind solche Nuancen aber nicht immer wahrgenommen worden oder dann in der Diskussion verlorengegangen. Es gibt also unterschiedliche Logiken in der Wissenschaft und in der Politik. Aber ich denke, es führt eigentlich kein Weg daran vorbei, Unsicherheiten auch offenzulegen. Neben solchen Unsicherheiten kann man aber auch noch herausstellen, zu welchen Punkten bereits Konsens besteht – z.B. an der Gefährlichkeit der Krankheit oder daran, dass Impfstoffe zuverlässig gegen schwere Verläufe helfen, gibt es ja keinen Zweifel mehr.

Über Social Media erreicht man Teile der Bevölkerung mit wissenschaftlichen Themen, die vielleicht sonst keine wissenschaftlichen Formate konsumieren. Nun lassen sich komplexe Wissenschaftsthemen nicht in einer Schlagzeile oder einen Social Media-Post packen. Können Social Media dennoch ein Kanal für gute Wissenschaftskommunikation sein?

Winter: Auf jeden Fall! Die Möglichkeiten von Social Media eignen sich durchaus für gute Darstellungen von Wissenschaft. Denken Sie zum Beispiel an Youtube-Erklärvideos oder Twitter-Threads zu aktuellen Forschungsergebnissen. Prinzipiell kann man da auch als Laie tief in Forschungsthemen einsteigen, oder das Interesse an Wissenschaft kann gesteigert werden. Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass es in sozialen Medien auch genauso schnell möglich ist, mit falschen, verzerrten oder verschwörerischen Inhalten in Berührung zu kommen. Aber das muss nicht so sein: Mit verstärkter Medienkompetenz, mit besserer Zielgruppen-Ansprache und vielleicht mit klarerer Kennzeichnung offensichtlicher Falschinformationen könnte man die Risiken einschränken.

Seit einigen Jahren gibt es mit „Open Access“ einen öffentlichen Zugang zu wissenschaftlichen Artikeln. Dadurch werden wissenschaftlichen Erkenntnisse weltweit schneller und kostenfrei zugänglich, nicht nur für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern für die gesamte Gesellschaft. Welche Chancen aber auch Fallstricke ergeben sich hierfür für die Wahrnehmung von Wissenschaft und die Kommunikation?

Winter: Ich sehe „Open Access“ vor allem als Chance – es gibt dadurch mehr Transparenz, eine bessere wissenschaftsinterne Qualitätssicherung, aber auch als Laie kann ich genauer nachlesen. Zu Corona habe ich mir zum Beispiel auch verschiedene epidemiologische Paper im Original angesehen, auch wenn ich da fachfremd bin. Da liegt dann auch ein möglicher Fallstrick: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ich als Fachfremder überfordert bin, Dinge nicht verstehe oder falsch interpretiere. Von daher bleibt die Komplexitätsreduktion durch den Wissenschaftsjournalismus weiter wichtig. 

Abschließend gefragt: Was macht laut Ihrer Ergebnisse denn eine gute Wissenschaftskommunikation aus? Und wie ist es um die Wissenschaftskommunikation bestellt?

Maier: Ganz ehrlich fällt meine aktuelle Antwort – jenseits der bereits genannten Punkte – leider recht ernüchtert aus: Eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation ist für mich gerade eine Zukunftsvision. In der Corona-Krise hat die Wissenschaft verdammt viel Energie in gute Forschung und eine engagierte Kommunikation mit ALLEN Zielgruppen gesteckt und konnte trotzdem nicht den nötigen Punch entwickeln, die Politik hat nicht reagiert. Hier sehe ich den größten Forschungsbedarf für die Zukunft: Jenseits der Fragen, wie wir die junge Generation erreichen und wie wir Wissenschaftsskeptiker vielleicht doch noch für unsere Themen interessieren können, müssen wir analysieren, wie wir wissenschaftliche Evidenz so kommunizieren, dass sie bei den gesellschaftlichen Entscheidungsträgerinnen und -trägern tatsächlich gehört wird. Dafür müssen wir geeignete Formate finden.

Alle drei Gesprächspartner lehren und forschen am Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik der Universität Koblenz-Landau.

Prof. Dr. Michaela Maier hat Journalistik und Politik- wissenschaft studiert. In der Forschung beschäftigt sie sich vor allem mit Politischer Kommunikation und Wissenschaftskommunikation.

Prof. Dr. Stephan Winter ist Medienpsychologe und beschäftigt sich mit Prozessen der Meinungsbildung in sozialen Netzwerken. Nach einem journalistischen Volontariat promovierte er in einem DFG-Projekt zur Online-Wissenschaftskommunikation. Foto: privat.

Dr. Berend Barkela ist Sozialwissenschaftler und arbeitet zur Wissenschafts- kommunikation und strategischen Kommunikation. Insbesondere forscht er zur Rolle von Kunst und Kultur in der Umwelt- und Nachhaltigkeitskommunikation.

Publikationen & Studien (eine Auswahl)

Zusammenfassung der Ergebnisse aller Teilprojekte des DFG Schwerpunktprogramms „Science and the Public“ (2009–2016)

„Communicating scientific evidence“ Artikel von Michaela Maier, Jutta Milde, Senja Post, Lars Günther, Georg Ruhrmann und Berend Barkela. https://doi.org/10.1515/commun-2016-0010

Literaturtipp

„Unsicherheit als Herausforderung“ von Nina Janich und Lisa Rhein. Im E-Book zum kostenfreien Download gibt es unter anderem einen Artikel von Michaela Maier, Lars Guenther, Georg Ruhrmann, Berend Barkela & Jutta Milde

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