„Sprechen lerne ich durch Sprechen“ – wie Sprachförderung gelingen kann

Offen gestellte Fragen können Kinder zu einem lang anhaltenden Gespräch anregen. Denn Sprechen lernen sie durch Sprechen. Foto: Colourbox

„Sprechen lerne ich durch Sprechen“, sagt die Professorin Dr. Gisela Kammermeyer, die am Campus Landau zum Schwerpunkt „Pädagogik der frühen Kindheit“ forscht und lehrt. Mit dieser zunächst simpel erscheinenden Aussage fasst die Expertin eine komplexe Herausforderung treffend zusammen: Als Wissenschaftlerin beschäftigt sich Gisela Kammermeyer nämlich damit, wie pädagogische Fachkräfte bei Kindern die Entwicklung von Sprache gezielt fördern können. Dabei geht es um Kinder im Krippen-, KITA- und Grundschulalter. Fragt man Gisela Kammermeyer, warum Sprachbildung und Sprachförderung wichtig seien, dann wird deren Bedeutung schnell klar: „Sprache ist der Schlüssel zur Welt und der Motor der Entwicklung“. Und sie erklärt weiter: „Grundlegende menschliche Bedürfnisse werden über Sprache artikuliert. Es geht darum, auszudrücken, was man für wichtig hält.“ Eine Kompetenz, die pädagogische Fachkräfte – aber auch Eltern – bereits frühzeitig bei Kindern anregen und fördern können.

Doch was heißt das konkret? Was könnten pädagogische Fachkräfte oder auch Eltern tun? Ganz einfache – an das Kind gerichtete – offene Fragen stellen, meint Gisela Kammermeyer, beispielsweise: „Wie bist du denn darauf gekommen?“ Aus einer konkreten Situation ließe sich oftmals ein ausführliches Gespräch initiieren, wenn an die Äußerung des Kindes angeknüpft und diese weiter ausgeführt werde. 

Sprechen und Denken sind zudem eng miteinander verknüpft. Mit Sprache kann man zum Nachdenken anregen. Und Nachdenken wiederum ist, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, die Basis eines guten Gesprächs. So empfiehlt Gisela Kammermeyer beispielsweise auch, dass pädagogische Fachkräfte ein Vorbild für Kinder sind, indem sie nicht nur ihr Handeln, sondern auch ihr Denken sprachlich begleiten, wenn sie etwa zu einem Kind sagen: „Ich überlege, ob wir heute eine Mütze brauchen. Da schaue ich mal zum Fenster raus.“ 

„Im Alltag kommen sprachliche Interaktionen mit Kindern jedoch manchmal etwas zu kurz“, ergänzt die Professorin. Oftmals werden geschlossene Fragen gestellt, die nur mit ja oder nein oder nur kurz beantwortet werden. Diese laden jedoch eher wenig zu länger anhaltenden Gesprächen ein. Und das sei für die Sprachentwicklung wenig förderlich. 

Die Professorin möchte pädagogische Fachkräfte dazu motivieren, Kinder zum Sprechen und zum Denken anzuregen – und gibt ihnen in der Fortbildung hierzu so genannte Gesprächswerkzeuge an die Hand, mit denen sie die Qualität dieser Anregung verbessern können. Ein von Kammermeyer und ihrem Team entwickeltes Fortbildungskonzept ist „Mit Kindern im Gespräch“. Es entstand im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS), die von 2013 bis 2019 die in den Bundesländern eingeführten Maßnahmen zur Sprachförderung weiterentwickeln und wissenschaftlich überprüfen sollte. 

„Mit Kindern im Gespräch“ – Effektivität einer Fortbildung wissenschaftlich evaluieren

Mit ihrem Team hat Kammermeyer untersucht, wie effektiv „Mit Kindern im Gespräch“ ist. Insgesamt 50 pädagogische Fachkräfte nahmen an der Studie teil. Ganz konkret ging es um die Frage, ob sich pädagogische Fachkräfte in der Fähigkeit, Kinder zum Sprechen und Nachdenken anzuregen, unterscheiden – je nachdem, wie sie weitergebildet wurden: Entweder durch die Fortbildung „Mit Kindern im Gespräch“ (Interventionsgruppen) oder durch die Fortbildung „Sprache – Schlüssel zur Welt“ (Vergleichsgruppe; das in Rheinland-Pfalz zu diesem Zeitpunkt reguläre Curriculum).

Vor der Fortbildung wurde jede teilnehmende Fachkraft per Video aufgenommen: Für die Aufnahmen konnte eine Sprachförderaktivität mit durchschnittlich fünf Kindern frei gewählt werden. Nach Abschluss der Fortbildung wurden erneut Videos aufgenommen. Eine weitere Überprüfung fand ein Jahr später statt. Und auch nach drei Jahren wurden die Fachkräfte videografiert. Wie effektiv die Fortbildung ist, wurde zum einen mit einem international anerkannten Beobachtungsinstrument und zum anderem anhand der Häufigkeit der eingesetzten komplexen Sprachförderstrategien gemessen; also etwa, wie häufig unter anderem offene Fragen gestellt wurden, um die Kinder dazu anzuregen, sprachlich Zusammenhänge und Vergleiche herzustellen.

Das Ergebnis war eindeutig: „Unsere Auswertungen zeigen, dass diejenigen Fachkräfte, die mit dem Fortbildungsansatz „Mit Kindern im Gespräch“ weitergebildet wurden, sich nach Fortbildungsende signifikant stärker in der Anregungsqualität verbessert haben als die pädagogischen Fachkräfte in der Vergleichsgruppe.“ Und Kammermeyer weiter: „Auch nach drei Jahren ist die Anregungsqualität nicht abgesunken.“ 

Fortbildungskonzept für Fachkräfte: Situiertes Lernen ist sehr effektiv

Doch was genau macht den Fortbildungsansatz „Mit Kindern im Gespräch“ hinsichtlich der Sprachförderung erfolgreicher? Gisela Kammermeyer erklärt: „Ein Unterschied liegt unter anderem darin, dass das Konzept in der Vergleichsgruppe inhaltlich breit angelegt ist – und jenes in den Interventionsgruppen inhaltlich fokussiert ist.“ Bei „Mit Kindern im Gespräch“ gehe es ganz konkret um die Vermittlung von Sprachförderstrategien. 

Außerdem unterscheiden sich die beiden Fortbildungsansätze hinsichtlich der eingesetzten Methode. Dazu sollte man wissen: Bei vielen Fortbildungen werden vor allem Vorträge und Diskussionen durchgeführt. Gisela Kammermeyer erklärt dahingehend den Mehrwert bei „Mit Kindern im Gespräch“: „Im Gegensatz zur Vergleichsgruppe wurden in den Interventionsgruppen die Fortbildungen nach dem Konzept des Situierten Lernens durchgeführt.“ Beim sogenannten situierten Lernen werden authentische Situationen aufgegriffen, konkrete Situationen, wie sie später im Praxisalltag der pädagogischen Fachkräfte vorkommen. Und sie sagt: „Zentral ist, dass die pädagogischen Fachkräfte Fördersituationen in ihrem Praxisalltag mit Video aufnehmen und analysieren.“

Online-Angebote für pädagogische Fachkräfte 

Damit nun möglichst viele Fachkräfte von dem Konzept profitieren können, setzt Gisela Kammermeyer verstärkt auch auf Online-Fortbildungsangebote. Ein Ansatz, der nicht zuletzt der Corona-Situation geschuldet sei, wie sie berichtet. Mit der „QiK Online-Akademie Qualität in Kitas GmbH“ habe sie einen geeigneten Medienpartner an ihrer Seite. Gemeinsam mit der Online-Akademie entwickelt ihr Team aktuell die Fortbildung „Mit Kindern im Gespräch – online“. Das Paket enthält unter anderem Erklärvideos zu einzelnen Sprachförderstrategien. Und auch Videos aus dem Alltag mit Kindern, die zeigen, wie sich die entsprechenden Strategien anwenden lassen. Zusätzlich soll ein Seminar angeboten werden, bei dem sich die pädagogischen Fachkräfte über ihre Anwendungserfahrungen austauschen können.

Kinder zum Sprechen anregen – auch in Corona-Zeiten

Um die pädagogischen Fachkräfte auch in der Corona-Zeit zu unterstützen, wurde zudem der Online-Kurs „Mit Kindern im Gespräch – auch während der Corona-Schließzeit“ entwickelt. Hierbei habe sie, so Gisela Kammermeyer, mit ihrem Team eine Auswahl an Möglichkeiten zusammengestellt, wie pädagogische Fachkräfte mit Kindern – trotz Quarantäne oder Lockdown – in Kontakt bleiben. „Es gibt nicht nur Ideen, wie man Kinder zu Hause zu Aktivitäten anregen kann, sondern auch, wie die Kinder zu einem Gespräch über diese Aktivitäten eingeladen werden“.

BiSS-Transfer: Sprachförderung in die Fläche bringen 

Doch auch darüber hinaus geht Gisela Kammermeyer und ihrem Team die Arbeit nicht aus: Bund und Länder wollen mit „BiSS-Transfer“ die Ergebnisse aus der ersten BiSS-Programmphase weiter in die Fläche tragen. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2020 bis 2025 gefördert. Bis zu 90 Verbünde aus Schulen und Kitas arbeiten daran, wissenschaftlich fundierte Konzepte zur sprachlichen Bildung in die Praxis zu bringen. Ein wichtiger Schritt ist bereits gelungen: Seit 2017 ist „Mit Kindern im Gespräch“ Landescurriculum in Rheinland-Pfalz und damit Grundlage für die Umsetzung der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung. 

Prof. Dr. Gisela Kammermeyer ist seit 2002 Professorin für Pädagogik der frühen Kindheit am Campus Landau. Zuvor war sie wissenschaftliche Assistentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und -didaktik I der Universität Erlangen-Nürnberg. Von 1979 bis 1985 war sie selbst als Lehrerin in Nürnberg tätig. Sowohl ein Studium für das Lehramt an Volksschulen als auch ein Studium der Psychologie mit schulpsychologischem Schwerpunkt hat sie an der Universität Erlangen-Nürnberg absolviert. Foto: Henriette Kriese

Wissenschaftliche Publikationen (eine Auswahl)

Kammermeyer, G., King, S., Goebel, P., Schönenberg, K. & Holder, C. (2022). „Mit Kindern im Gespräch“ – Transfer im Elementar- und Primarbereich in Rheinland-Pfalz. In Becker-Mrotzek, M., von Dewitz, N., Grießbach, J., Roth, H.-J. & Schöneberger, C. (Hrsg.), Sprachliche Bildung im Transfer: Konzepte der Sprach- und Schriftsprachförderung weitergeben (BISS-Band 6) (S. 127-143). Stuttgart: Kohlhammer.

Kammermeier, G., King, S., Goebel, P. & Metz, A. (2021). Gestaltung wirksamer Weiterqualifizierung zur Sprachbildung und -förderung – Erkenntnisse aus BiSS. In D. Kucharz, S. Bickerle & K. Mackowiak (Hrsg.). Wie Sprachförderung gelingen kann. Erkenntnisse aus der BiSS-Initiative (S. 19 – 45). Weinheim: Beltz Juventa.

Kammermeyer, G., Leber, A., Metz, A, Roux, S. & Biskup-Ackermann, B. & Fondel, E. (2019). Langfristige Wirkungen des Fortbildungsansatzes „Mit Kindern im Gespräch“ zur Sprachförderung in Kindertagesstätten. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 4, 285-302. 

Kammermeyer, G., King, S., Goebel, P., Lämmerhirt, A., Leber, A., Metz, A., Papillion-Piller, A. & Roux, S. (2019).  „Mit Kindern im Gespräch“ – Qualifizierungskonzept zur Sprachbildung und Sprachförderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen. Verbund „gezielte alltagsintegrierte Sprachbildung in Schlüsselsituationen in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg“. In C. Titz, S. Geyer, A. Ropeter, H. Wagner, S. Weber & M. Hasselhorn (Hg.), Bildung durch Sprache und Schrift. Band 3: Praxiserfahrungen: Arbeiten mit Konzepten der Sprach- und Schriftsprachförderung (S. 13-36). Stuttgart: Kohlhammer.

Weitere Publikationen siehe hier.

Fortbildungsangebot und Praxis-Kurs

Informationen zum Fortbildungsangebot „Mit Kindern im Gespräch – digital“ gibt es hier.

Informationen zum Praxis-Kurs „ Mit Kindern im Gespräch – auch während der Corona-Schließzeit?“ gibt es hier.

0 Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.