Ressourcenkonflikte: Die Schattenseiten der Windkraft

Für den Bau von Windkraftanlagen wird im Norden Kenias ein Dorf umgesiedelt. Das führt zu teils gewaltvollen Konflikten. Foto: Janpeter Schilling

Wenn Rohstoffe ausgehen, kann es zu Konflikten kommen. Doch auch bei unendlichen Ressourcen wie Sonne und Wind ist das Konfliktpotenzial hoch. Juniorprofessor Dr. Janpeter Schilling beschäftigt sich mit Ressourcenkonflikten und wie man sie lösen kann. Zwei Einsatzgebiete seiner Forschung sind Kenia und Deutschland. Die Auswirkungen unterscheiden sich erheblich.

Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Energien gewonnen werden. Das steht so im November 2021 ausgehandelten Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die Bundesregierung will verstärkt auf Solar- und Windkraftanlagen setzen und den Kohleausstieg sukzessive vorantreiben. Im vergangenen Jahr kam der deutsche Strom im Monatsdurchschnitt zu rund 46 Prozent aus regenerativen Energien. Der Anteil müsste sich bis 2030 also fast verdoppeln.

Doch das ist gar nicht so einfach. Bis dahin gilt es, einige Hürden zu überwinden. Der Umstieg auf erneuerbare Energien bietet nämlich nicht nur Vorteile. Janpeter Schilling, wissenschaftlicher Leiter der Friedensakademie Rheinland-Pfalz und Klaus-Töpfer-Juniorprofessor für Landnutzungskonflikte an der Universität Koblenz-Landau, untersucht in seiner Forschung einen Aspekt, der vielen so gar nicht bewusst ist. Er beschäftigt sich mit Ressourcenkonflikten.

Streitigkeiten wegen Landnutzung

Es gibt Ressourcen wie Öl oder Gas, die nicht erneuerbar sind. Wenn etwas Endliches gebraucht wird, kommt es oft zu Konflikten, so wie es in den vergangenen Jahrzehnten häufig der Fall war. Konflikte entstehen aber auch bei unendlich verfügbaren Rohstoffen. „Durch den Klimawandel brauchen wir einen Umbau des globalen Energiesystems hin zu erneuerbaren Energien. Deshalb wird Wasserkraft, vor allem aber Wind- und Solarenergie in den nächsten Jahrzehnten eine große Rolle spielen“, weiß Schilling.

Doch wo entstehen die Konflikte im Umgang mit Wind- und Sonnenkraft? Die Streitigkeiten entstehen immer dann, wenn es um die Nutzung von Land geht, verrät Schilling. „Jede Ressource braucht Land. Immer dann, wenn wir Nutzung von landwirtschaftlichen Flächen ändern, zum Beispiel im Weinbau, gibt es potenzielle Gewinner und Verlierer. Zumindest wird es von den Akteuren oft so wahrgenommen.“ Dadurch entstünden oft Ängste, Proteste und Ablehnung.

Frustration und Ärger wegen falscher Versprechungen

Eines der Forschungsgebiete von Janpeter Schilling ist der Norden Kenias. Am Turkana-See, dem zweitgrößten Binnengewässer des Landes, befindet sich seit September 2018 einer der größten Windparks Afrikas. 365 Turbinen sind in der als Marsabit bekannten Region aufgestellt. Diese ist laut Schilling zwar dünn besiedelt, aber nicht frei von Bevölkerung. „Dort wurde das kleine Dorf Sarima umgesiedelt, das jetzt von Windkraftanlagen umzingelt ist. Es hat den Schattenwurf und den Lärm der Anlagen, bekommt aber keinen Strom aus diesen“, beschreibt Schilling.

Hauptgrund für Frustration und Ärger seien dort aber falsche oder nur halbwahre Versprechungen der Windkraftbetreiber gewesen. Die umgesiedelten Bürgerinnen und Bürger seien überwiegend Viehtreiber gewesen, die halb-nomadisch leben. Die Betreiber des Windparks versprachen ihnen Jobs und Einkommen, wenn der Windpark komme. Das Versprechen wurde aber nur zum Teil eingelöst. „Die Dorfbewohner haben einfache Arbeiten bekommen, wie das Wegschneiden von Büschen oder das Freiräumen von Wegen. Als die Turbinen standen, gab es aber keine Anstellungsmöglichkeiten mehr für sie“, sagt Schilling.

Auch bewaffnete Konflikte und Überfälle

Die Erwartungen wurden vor dem Bau des Windparks aktiv geweckt und später enttäuscht. So kam es zu Spannungen zwischen den Windkraftbetreibern und den Dorfbewohnern Sarimas. Jüngere Erwachsene blockierten zum Beispiel die Zufahrten zur Anlage. Auch die bewaffneten Konflikte und Überfälle zwischen verschiedenen Viehhaltergruppen in der Region gehen weiter.

Als Friedenskonfliktforscher arbeitet Schilling so viel es geht vor Ort. Wenn es um Konflikte geht, müsse man mit der lokalen Bevölkerung sprechen und vorsichtig vorgehen. Doch das passiert nicht von heute auf morgen. „Man muss eine Zeitlang vor Ort sein und das Vertrauen zu den Lokalen aufbauen. Ich habe in Kenia seit 2009 immer wieder für längere Zeit in Dorfgemeinschaften gelebt und die Bereitschaft zu sprechen hat sich aufgebaut“, sagt er. Je gewalttätiger der Konflikt, desto misstrauischer seien die Einheimischen und desto mehr Zeit brauche es, um mit ihnen reden zu können.

Janpeter Schilling redet mit Einheimischen in Kenia. Nachdem er Vertrauen aufgebaut hat, will er mit ihnen gemeinsam Konfliktlösungen finden. Foto: Schilling

Erst Vertrauen aufbauen, dann Lösungen finden

Schilling arbeitet vor Ort mit lokalen Organisationen, Regierungen, Universitäten und anderen akademischen Institutionen zusammen. Wichtig ist es laut Schilling auch, die Regierung über die Forschung zu informieren und Genehmigungen einzuholen.

Ist das Vertrauen aufgebaut, stellen Schilling und sein Team zunächst allgemeine Fragen. Wie nutzen die Einheimischen die Ressourcen? Welche Probleme haben sie? Welche positiven Entwicklungen gab es schon? Dann schaut das Team, wer die Ressourcen noch nutzt, welche Fähigkeiten die jeweiligen Nutzerinnen und Nutzer haben und wie diese interagieren. Im Anschluss werden daraus Lösungsperspektiven entwickelt und Auswirkungen abgeschätzt. „Wir fragen auch die Personen vor Ort konkret, was ihre Vorschläge sind und wie sie die Probleme lösen würden“, sagt Schilling.

Beziehungen der beiden Parteien stärken

Einige befeindete Hirtenvölker im Norden Kenias wie die Turkan und Pokot hätten am liebsten eine große Wand bauen lassen, um sich voneinander abzugrenzen. Das ist laut Schilling so aber nicht umsetzbar. Also müssten die Beziehungen der beiden Parteien zueinander gestärkt werden. „Wir zeigen ihnen vielversprechende Beispiele aus der Wissenschaft und Praxis auf, versuchen Personengruppen, die Vertrauen von beiden Seiten genießen, an einen Tisch zu bekommen und tauschen Perspektiven aus.“

Die Konflikte in Kenia entstünden nicht aufgrund verschiedener Ethnien, sondern schlicht durch den Kampf um die Ressourcen. „Wenn sie genug Ressourcen für jeden hätten, würden auch alle miteinander auskommen“, erklärt Schilling. Es sei bei der Konfliktbewältigung wichtig, Gemeinsamkeiten zu betonen. Denn letztlich seien sowohl das Hirtenvolk der Turkana als auch das der Pokot von der Dürre betroffen, beide stünden dem Zentralstaat Kenia misstrauisch gegenüber und beide hätten einen ähnlichen Lebensstil.

Feldforschungen immer auch Risikoabwägungen

„Wir müssen den Jugendlichen zudem gute Alternativen geben, andere Beschäftigungsoptionen. Die formelle Infrastruktur und Anstellungsmöglichkeiten müssen sich verbessern.“ Die fehlenden Perspektiven für Jugendliche sind laut Schilling auch eine Verfehlung des Staates. Denn auch Öl ist ein Rohstoff, der im Land zu Konflikten führt. Erst als Öl gefunden und das Windkraftpotenzial entdeckt wurde, interessierte sich der Staat für den Norden seines Landes. Vorher hat er diesen „allein gelassen.“

Schilling und sein Team stehen bei ihrer Arbeit vor Ort oft vor schwierigen Entscheidungen. Sie müssen Risiken identifizieren und abwägen, wie sehr sie sich diesen stellen wollen und können. „Wir informieren uns, bevor wir in eine bestimmte Gegend fahren, darüber, wie viele Überfälle es dort gab und beziehen mit ein, was wir von anderen Leuten gehört haben“, sagt der Wissenschaftler. Die Vereinten Nationen (UN) würden in die gefährlicheren Regionen Kenias zum Beispiel nur mit bewaffneten Soldaten fahren. Das sieht Schilling aber kritisch: „Für die Feldforschung ist das problematisch. Wenn die Leute vor Ort bewaffnetes Personal sehen, haben sie Angst. Dann redet niemand mit dir. Ich war nie ein Freund von bewaffnetem Personal.“ Deshalb wägen Schilling und sein Team immer ab, in welche Regionen sie fahren und in welche nicht. 

In manchen Regionen Kenias ist Feldforschung ohne bewaffnetes Personal nicht möglich. Die Forscher müssen abwägen, ob sich das Risiko lohnt. Foto: Schilling

Corona erschwert Forschung

Die Corona-Pandemie sorgte dafür, dass Schilling ungewollt direkten Konflikten aus dem Weg gehen musste. Er und sein Team leisteten viel Arbeit über das Internet oder das Telefon. Lokale Partner übernehmen derzeit vorrangig die Interviews vor Ort. Doch selbst wenn Schilling in die Konfliktgebiete reist, erschwert die Pandemie ihm die Arbeit. Bei Interviews mit Masken im Gesicht, sei es schwierig, Gesichtszüge zu analysieren und so Vertrauen aufzubauen. Auch moralische und ethische Fragen stellt sich Schilling immer wieder: „Dort sind nur wenige geimpft. Wir müssen auch abwägen, ob wir uns und der lokalen Bevölkerung dem Infektionsrisiko aussetzen wollen.“ Schillings Arbeit endet nicht mit der Rückreise nach Deutschland. Zu Hause analysiert das Team seine Daten sowie Sekundärquellen. „Das sind zum Beispiel andere Studien als unsere oder bestehende Daten von Satelliten.“

Die Rolle der Wissenschaft ist es, so Schilling, Zusammenhänge aufzuzeigen und Vorschläge zur Konfliktlösung zu machen. Der Job der Wissenschaftler ende mit kompakten Zusammenfassungen für die Entscheidungsträger. Dabei müsse man einschätzen, wer welche Rolle spielt und wie diese Entscheidungsträger zu erreichen sind. Um sie für spätere Empfehlungen empfänglicher zu machen, werden sie von Anfang an in die Forschung mit einbezogen und ebenso wie die lokale Bevölkerung befragt. Ein Problem dabei ist, dass es Mindestabstandsregeln zwischen Windrädern und Siedlungen wie wir sie in Deutschland haben, in Kenia nicht gibt. Für die Förderung von Öl hat Kenia Vorgaben, wie die Verschmutzung von Wasser und Land zu begrenzen ist. „Diese Mindeststandards gibt es schon, sie werden häufig aber wenig kontrolliert oder umgesetzt. Es gibt oft keine Strafen, wenn sie nicht eingehalten werden“, sagt Schilling.

Schilling ist auch in Marokko und Südamerika unterwegs

Es sei nicht möglich, einem Land und seiner Regierung vorzuschreiben, was es zu tun hat. Daher wendet sich die Forschung von Schilling auch an einflussreiche Unternehmen. „Wenn wir diese weiter dazu drängen, gewisse Standards einzuhalten, gibt es Anreize auch für Staaten, darauf zu achten.“

Schilling ist aber nicht nur in Kenia unterwegs. Im Projekt Salidraa untersucht er auch in Marokko Konflikte um Land- und Wassernutzung. „Der Staat hat hier einen neuen Damm errichtet. Er kann also entscheiden, wann Wasser fließt und wann nicht. Da gibt es immer Gewinner und Verlierer.“ Auch in Bolivien, Peru und Brasilien betreibt er Feldforschung zur Landnutzung und zum Schutz des Regenwalds.

Deutsche Konflikte werden vor Gericht gelöst

Ressourcenkonflikte gibt es aber auch in Deutschland. Diese laufen meist weniger gewalttätig ab. „Wenn in Deutschland ein Windkraftpark entsteht, bekommen die Leute oft Verlustängste. Häuser werden dadurch weniger wert, der Tourismus leidet. Oft hört man Klagen, dass die Landschaft verschandelt wird“, sagt Schilling. Auch mit solchen Konflikten, die oft in Form von Klagen und Protesten ausgetragen werden, setzt sich Schilling auseinander. Gelöst werden diese aber hauptsächlich über Gerichtsverfahren. Schilling rechnet aufgrund des neuen Koalitionsvertrags und der dort betonten Wichtigkeit der Energiewende mit deutlich stärkeren Konflikten, die kaum vermeidbar seien.

Eine Lösung sei es, die von den Anlagen betroffenen Gemeinden an diesen teilhaben zu lassen. „Zum Beispiel finanziell, so dass die Teilhaber sehen, dass sie jedes Mal, wenn ein Windkraftrad sich dreht, ein paar Cent verdienen“, sagt der Forscher. In diese Richtung will er auch künftig weiterforschen. Environmental Peacebuilding, also umweltbezogene Friedensbildung, nennt sich das Ganze. „Wir müssen für die Herausforderungen, die mit Umweltproblemen kommen, gemeinsame Lösungen erreichen. Windkraftparks sind für den Klimawandel ein wichtiger Baustein. Aber wir müssen beim Bau auch nach lokalen Profiteuren suchen.“

Es geht darum, die Bedenken der Anwohnerinnen und Anwohner ernst zu nehmen, diese anzuhören und nicht abzustempeln. Wird mein Haus weniger wert sein, wenn ein Windpark danebensteht? Ist das eine legitime Einschätzung? Kann als Entschädigung ein Anteil am Windkraftpark oder eine Finanzierung des Hauses angeboten werden? Darum geht es. „Man wird nie alle mit ins Boot bekommen, aber man muss versuchen, möglichst viele Leute mitzunehmen. Dann wird zukünftig die Akzeptanz deutlich höher sein.“

Junior-Prof. Dr. Janpeter Schilling ist studierter Geograph. Früh im Studium beschäftigte er sich aber schon mit Konflikten. Seit Oktober 2016 hat er die Klaus-Töpfer-Stiftungsjuniorprofessur für Landnutzungskonflikte am Institut für Umweltwissenschaft der Universität Koblenz-Landau. Für die Friedensakademie Rheinland-Pfalz arbeitet er zunächst als Geschäftsführer und seit 2019 als Wissenschaftlicher Leiter. Schwerpunkt seiner Forschung sind Umwelt- und Ressourcenkonflikten. Ihn treibt es an, Zusammenhänge zwischen Mensch und Umwelt zu verstehen und einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung zu leisten.

Studien & weiterführende Literatur (eine Auswahl)

Schilling, Janpeter; Locham, Raphael & Scheffran, Jürgen (2018): A Local to Global Perspective on Oil and Wind Exploitation, Resource Governance and Conflict in Northern Kenya. Conflict, Security & Development, 18, 571-600. DOI: https://doi.org/10.1080/14678802.2018.1532642

Schilling, Janpeter; Schilling-Vacaflor, Almut; Flemmer, Riccarda & Froese, Rebecca (2021): A Political Ecology Perspective on Resource Extraction and Human Security in Kenya, Bolivia and Peru. Extractive Industries and Society, 8, 1-12. DOI: https://doi.org/10.1016/j.exis.2020.10.009

Schilling, Janpeter & Werland, Luise (2020): Interaction between Wind Energy, Climate Vulnerability and Violent Conflict in Northern Kenya. Climate Change, Security Risks, and Violent Conflicts, Brzoska, M. & Scheffran, J. (ed.). Hamburg: University of Hamburg, 67-82.

Schilling, Janpeter & Werland, Luise (2021): 10 Jahre Arabischer Frühling – Wo steht Nordafrika heute? Geographische Rundschau, 11, 10-14. 

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