Arbeiten im Home-Office und der Druck der ständigen Beweislast

Viele Home-Office-Mitarbeitende haben Angst, dass die Kollegen schlecht über sie denken, wenn sie nicht ständig zeigen, dass sie arbeiten. Foto: Colourbox

Für viele trägt Home-Office dazu bei, eine bessere Work-Life-Balance zu erlangen. Die Arbeit zu Hause hat aber auch ihre Schattenseiten. Nämlich dann, wenn der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin das Gefühl hat, ständig beweisen zu müssen, dass er oder sie arbeitet. Wo kommt dieses Gefühl her? Welche Auswirkungen hat es auf die Menschen, ihre Arbeit und ihr Umfeld? Und was kann gegen das Gefühl getan werden?

Immer mehr Menschen reden heute von der sogenannten Work-Life-Balance. Wörtlich gesehen beschreibt sie den Einklang zwischen der Arbeit und dem Leben. Zeit für das Leben außerhalb und Freiheiten während der Arbeit werden für viele Menschen immer wichtiger. Auch die Forschung befasst sich deshalb immer häufiger mit dem Begriff Work-Life-Balance. Die derzeitige Leiterin der Abteilung Wirtschaftswissenschaften, Prof. Dr. Gisela Gerlach, findet diesen Begriff aber nicht mehr passend. „Viele Menschen, mit denen ich rede, sagen, dass für sie Arbeit und Leben keine Gegensätze sind, sondern die Arbeit ein wichtiger Teil ihres Lebens ist“, sagt sie.

Der Begriff Work-Life-Balance ist in den 1960er Jahren im englischsprachigen Forschungsraum entstanden. Damals sprachen Forscher noch von der Work-Family-Balance, was heute zu vielen Personen nicht mehr passt, beispielsweise weil sie (noch) keine Familie haben, sagt Gerlach. „Zudem umfasst das Leben aus Sicht vieler Menschen mehrere Lebensbereiche, wie Arbeit, Hobby, Familie oder Freunde. Sie wollen all diese Lebensbereiche in Einklang bringen und in allen zufrieden sein. Dabei sind ihnen die Lebensbereiche unterschiedlich wichtig.“ Deshalb entschied sich Gerlach in ihren vergangenen Forschungsarbeiten, den Begriff Life-Balance zu verwenden.

Grenzen unterschiedlicher Lebensbereiche werden durchlässiger

In ihrer aktuellen Forschung befasst sie sich insbesondere damit, wie Menschen die Grenzen zwischen diesen Lebensbereichen gestalten und welche Rolle dabei Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) wie Telefon oder E-Mail spielen. „Vor 80 Jahren sind wir morgens aus dem Haus und zur Arbeit gegangen. Dann war klar: Jetzt fängt der Arbeitsbereich an. Wir haben gearbeitet und waren nicht erreichbar. Irgendwann sind wir nach Hause gegangen und dort hat der Privatbereich begonnen.“

Kommunikationstechnologien hätten es nun ermöglicht, die Grenzen der verschiedenen Lebensbereiche durchlässiger zu machen, sagt Gerlach. Gleichzeitig kann sich jeder immer noch dazu entscheiden, zum Beispiel das Smartphone bei der Arbeit in der Tasche zu lassen, stumm zu schalten oder nicht drauf zu schauen. „Wir haben dadurch mehr Gestaltungsmöglichkeiten, sind aber auch mit Erwartungen von Vorgesetzten, Kolleginnen und Kollegen, aber auch Familienmitgliedern und Freundinnen und Freunden konfrontiert. Individuen tragen heute eine größere Verantwortung dafür, die Grenzen zwischen verschiedenen Lebensbereichen zu gestalten.“

Kommunikationssituationen besser verstehen

Gerlach untersuchte in den vergangenen Jahren vermehrt, wie stark die Arbeit durch IKT ins Privatleben, aber auch wie stark das Privatleben durch sie in die Arbeit eindringt – eine Perspektive, die in der bisherigen Forschung weitgehend vernachlässigt wird. So könne zum Beispiel die Chefin abends um 8 Uhr daheim anrufen und etwas wollen, es könne aber auch die KiTa um 10 Uhr bei der Arbeit anrufen, weil das Kind krank ist und abgeholt werden müsse. Auch müsse in der Forschung differenziert betrachtet werden, in welchen Situationen es überhaupt gut oder schlecht sei, erreichbar zu sein. „Wenn ich abends um 8 Uhr zu Hause am Rechner sitze, stört mich der Anruf des Chefs vielleicht gar nicht, morgens um 8 Uhr, wenn ich privat im Stress bin, vielleicht schon“, sagt Gerlach. Die Professorin will durch ihre Studien den Blick auf einzelne Kommunikationssituationen werfen und dadurch besser verstehen, wie diese auf die Probanden wirken, wann sie gut sind und wann schädlich.

Seit rund drei Jahren promoviert Meika Schuster bei Gerlach. Sie brachte das Thema Home-Office ins Team ein, da das Arbeiten zu Hause eine höhere Flexibilität mitbringe und sich dadurch private Dinge in den Arbeitsalltag integrieren lassen, Lebensbereichsgrenzen also verschwimmen können. In Interviews stellten Schuster und Gerlach Beschäftigten, die regelmäßig im Home-Office arbeiten, Fragen zum Thema Erreichbarkeit und Kommunikation im Home-Office. Unter den Interviewten waren Menschen aus dem öffentlichen Dienst, der Privatwirtschaft, aus kleinen und großen Unternehmen. Sie begannen mit den Interviews noch vor der Corona-Pandemie. Dass das Thema Home-Office durch diese nun viel verbreiteter und aktueller in unserem Alltag ist, war Zufall.

Phänomen: Beweislast

In den Antworten zu den Interviews stellten Schuster und Gerlach immer wieder ein Phänomen fest: „Home-Office-Mitarbeitende haben oft das Gefühl, ihren Vorgesetzten und Kollegen beweisen zu müssen, dass sie zu Hause arbeiten, weil diese nicht sehen, dass sie am Rechner sitzen und produktiv sind“, sagt Schuster. Nur über IKT könnten Home-Office-Mitarbeiter zeigen, dass sie am Arbeiten sind. Etwa durch das schnelle Antworten auf eine E-Mail, das Versenden einer E-Mail, die vielleicht gar nicht nötig war, oder durch das Bewegen der Maus, damit der Skype-Status auf online bleibt, obwohl man gerade handschriftlich ein Konzept ausarbeitet .

Fortan widmeten sich Gerlach und Schuster mit einer quantitativen, fragebogenbasierten Forschung mit geschlossenen Fragen der Untersuchung dieses Phänomens. Zunächst wollten sie wissen, was die Ursachen dafür sind, dass Menschen immer wieder das Gefühl bekommen, im Home-Office etwas beweisen zu müssen. „Die Ursache liegt vor allem in der verminderten Transparenz im Home-Office. Kollegen und Vorgesetzte können den Mitarbeitenden, der im Home-Office arbeitet, nicht sehen, daher ist es für sie weniger transparent, ob und in welchem zeitlichen Umfang man zu Hause arbeitet“, erklärt Schuster. Aus diesem Grund befürchten viele Mitarbeitende, dass Kollegen oder Vorgesetzte denken, man würde zu Hause weniger arbeiten und stattdessen privaten Dingen nachgehen. „Uns ist es in der Regel jedoch wichtig, was Kollegen und Vorgesetzte von uns denken und wir wollen nicht, dass der Eindruck entsteht, wir würden zu Hause auf der faulen Haut liegen“. Daher haben viele Home-Office-Mitarbeitende das Gefühl, anderen beweisen zu müssen, dass sie zu Hause tatsächlich arbeiten.

Kollegen sind ein wichtiger Treiber des Gefühls der Beweislast

In der quantitativen Studie, die Schuster mithilfe von Gerlach entwarf und in zwei Unternehmen mit etwa 450 Mitarbeitenden durchführte, untersuchen sie nun weitere Aspekte, die das Gefühl der Beweislast beeinflussen, wie das wahrgenommene Vertrauen von Kollegen und Vorgesetzten sowie die Home-Office-Kultur im Unternehmen. Durch statistische Verfahren werden Zusammenhänge zwischen diesen Variablen berechnet. Dieses Verfahren sei in der Regel näher an der Wahrheit, als die Probanden direkt nach den Zusammenhängen zu fragen. Oft könne man selbst nämlich nicht genau beantworten, woher so ein Gefühl wie das der Beweislast überhaupt kommt.

Die Datenerhebung der quantitativen Studie ist abgeschlossen. Schuster wertet die Daten momentan aus. Zwischenergebnisse zur Ursache haben sie überrascht: „Die Kollegen nehmen einen großen Einfluss auf das Gefühl, sich beweisen zu müssen. Nehme ich war, dass meine Kollegen mir vertrauen, habe ich das Gefühl weniger. Das ist auch so, wenn das Team, in dem ich arbeite, offen gegenüber Home-Office ist.“ Das Vertrauen des Vorgesetzten würde das Gefühl laut der Studie weniger beeinflussen.

Gefühl der Beweislast wirkt sich wirtschaftlich und mental negativ aus

Gerlach und Schuster wollten mit ihrer Studie aber auch herausfinden, welche Auswirkungen das Gefühl, sich im Home-Office beweisen zu müssen, auf die Arbeit, die Personen selbst und das Umfeld hat. Zum einen ist es wirtschaftlich relevant, so die beiden Forscherinnen. Wenn sich Menschen damit befassen, wie sie beweisen können, dass sie arbeiten, halte sie das von der eigentlichen Arbeit ab. Durch die Mühe, die in das Beweisen gesteckt wird, sinke die Leistungsstärke der Mitarbeiter in anderen relevanten Bereichen. Des Weiteren sei das Gefühl mental belastend. Viele Probanden gaben an, dadurch gestresster zu sein und weniger gut von der Arbeit abschalten zu können. „Wenn ich Feierabend oder Pause habe und daher nicht ans Telefon gehe, denkt mein Chef, dass ich faulenze“, würden sich viele denken, sagt Gerlach.

Gerlach und Schuster befragten aber nicht nur Home-Office-Mitarbeiter, sondern auch zusammengenommen etwa 300 ihrer Chefs und Kollegen. Sie baten diese darum, die Leistungen der Home-Office-Mitarbeiter einzuschätzen, die beweisendes Kommunikationsverhalten an den Tag legen, in der Hoffnung, dass andere sie besser finden. „Die Mitarbeiter werden dadurch nicht besser wahrgenommen“, sagt Schuster. „Sie werden sogar eher negativer wahrgenommen. Personen, die schnell auf eine E-Mail antworten, um zu zeigen, dass sie am Rechner sitzen, werden von Vorgesetzten als eher weniger hart arbeitend wahrgenommen.“ Frei nach dem Motto: Hat der denn nichts Besseres zu tun, als sofort auf meine E-Mail zu antworten? Die Vorgesetzten-Stichprobe sei zwar relativ klein gewesen, für Gerlach ergibt sie aber dennoch Sinn: „Wenn Kollegen innerhalb von drei Sekunden zurückschreiben, frage ich mich auch manchmal, sind die nicht gerade am Forschen oder Lehren?“ Die beiden Wissenschaftlerinnen stellten auch fest, dass die Ergebnisse universell zutreffend sind. Zwischen Männer, Frauen, Personen mit oder ohne Kindern oder Personen mit oder ohne Führungsverantwortung habe es keine signifikanten Unterschiede gegeben.

Es braucht authentische Rollenvorbilder

„Wir steuern als Gesellschaft auf eine hybride Arbeitswelt zu, wo 50 Prozent der Arbeitszeit von Wissensarbeitenden im Home-Office stattfindet. Das machen die großen Konzerne derzeit vor“, sagt Gerlach. Sie betont, dass sich deshalb etwas tun muss in Bezug auf das von ihr und Schuster festgestellte Phänomen. Die beiden teilnehmenden Unternehmen haben einen individuellen Feedback-Bericht bekommen. Dieser soll die Unternehmen für das beweisende Verhalten ihrer Beschäftigten sensibilisieren. Gleichzeitig soll er den Mitarbeitern aufzeigen, dass sie sich teilweise so verhalten und ihnen verdeutlichen, dass dieses Verhalten sogar negative Auswirkungen haben kann. Über Kommunikation und Trainings könne das Verhalten verbessert werden.

In Unternehmen müsse eine Kultur gefördert werden, in der es normal ist, im Home-Office zu arbeiten, findet Schuster. Es müsse bewusst kommuniziert werden, dass Führungskräfte es gut finden, dass ihre Mitarbeiter ihren Job im Home-Office erledigen. Auch brauche es authentischen Rollenvorbilder im Unternehmen, wie Gerlach betont: „Wenn der Abteilungsleiter so tut, als würde er 24 Stunden am Tag arbeiten und selbst beweisendes Verhalten an den Tag legt, dann kreiert er eine Atmosphäre, in der die Mitarbeiter denken, das auch tun zu müssen. Authentische Vorbilder müssen offen kommunizieren, dass sie zwischen der Arbeit eine Stunde joggen gehen.“ Aufgrund der Leistungskultur in Deutschland, werde so etwas aber eher weniger kommuniziert. Gerlach sieht hier die Führungskräfte in der Pflicht, wünscht sich offene Gespräche in Unternehmen. Mit Vorbildfunktion und offener Kommunikation könne man dem Gleichgewicht der verschiedenen Lebensbereiche näher kommen.

Schusters Ergebnisse sollen zeitnah veröffentlicht werden. Gerlach wird sich weiter mit dem Thema Work-Life-Balance beschäftigen. „Solange wir arbeiten, wird das Thema nie irrelevant für uns werden“, bekräftigt sie. Als nächstes würde sie gerne beforschen, wie Menschen mittels IKT die Grenzen zwischen Lebensbereichen gestalten und was sich verändert, wenn sich ihre Rahmenbedingungen verändern, wenn beispielsweise Mitarbeiter Mutter oder Vater werden oder in Führungspositionen wechseln.

Prof. Dr. Gisela Gerlach ist seit 2018 Professorin für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Personal und Organisation, am Fachbereich 6: Sozial- und Kulturwissenschaften, an der Universität in Landau. Zuvor war sie an der Technischen Universität Darmstadt tätig, wo sie 2010 auch promovierte. Neben Studien zur Rolle mobiler Kommunikationstechnologien für die Work-Life Balance von Beschäftigten, beschäftigt sie sich in ihrer Forschung mit organisationaler Diversität, Personalführung und der Bedeutung sozialer Beziehungen im Arbeitskontext. Foto: privat

Meika Schuster ist seit dreieinhalb Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Frau Prof. Dr. Gerlach. Zuvor studierte sie sowohl im Bachelor- als auch Masterstudium Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Personalmanagement. Im Rahmen ihrer Promotion forscht sie zum Thema Erreichbarkeit und Kommunikation in flexiblen Arbeitsmodellen, insbesondere im Homeoffice. Foto: privat

Studien (eine Auswahl)

Ahlers, Elke/ Mierich, Sandra/Zucco, Aline (2021). Homeoffice: Was wir aus der Zeit der Pandemie für die zukünftige Gestaltung von Homeoffice lernen können. WSI Report, 65.

Gajendran, Ravi S./Harrison, David A. (2007). The good, the bad, and the unknown about telecommuting: Meta-analysis of psychological mediators and individual consequences. Journal of Applied Psychology, 92(6), 1524–1541.

Gerlach, Gisela (2018), Work-Life Balance aus Sicht von Mitarbeitern: Eine Interviewstudie mit Wissensarbeitern, Zeitschrift Führung + Organisation (zfo), 87, 4, 251-257.

Reinke, Kathrin/Bieling, Gisela/Stock-Homburg, Ruth (2016), Mobile IKT-Nutzung im Arbeits- und Privatleben – Stressfaktor oder förderlich für die Life Balance?, Wirtschaftspsychologie, Heft 2/2016, 15-24.

Reinke, Kathrin/Gerlach, Gisela (2022), Linking Availability Expectations, Bidirectional Boundary Management Behavior and Preferences, and Employee Well-Being: An Integrative Study Approach, Journal of Business and Psychology, 37, 4, 695-715.

Reinke, Kathrin/Gerlach, Gisela/Tarafdar, Monideepa/Stock, Ruth (2016), ICT-Based Communication Events as Triggers of Stress: A Mixed Methods Study, 2016 International Conference on Information Systems (ICIS), Dublin, Ireland.

Schneider, Katharina/Reinke, Kathrin/Gerlach, Gisela/Anderson, Christoph/Wojtek, Sebastian/ Neitzel, Svenja/Dwarakanath, Rahul/Böhnstedt, Doreen/Stock, Ruth (2017), Aligning ICT-enabled Availability and Individual Availability Preferences: Design and Evaluation of Availability Management Applications, 2017 International Conference on Information Systems (ICIS), Seoul, South Korea.Schuster, Meika (2020). Gefühlter Beweisdruck im Homeoffice: Mit angepasster Erreichbarkeit und Kommunikation gegen Vorurteile. Zeitschrift Führung + Organisation: ZfO, 89(6), 364-371.

Schuster, Meika/Gerlach, Gisela (2022), Beweisendes Erreichbarkeits- und Kommunikationsverhalten im Homeoffice – eine Mixed-Methods Studie, Vortrag auf dem Herbstworkshop der Kommission Personal des Verbands der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre e.V. (VHB) 2022, Berlin.

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