Dürfen die das? Kunst und Klimaprotest

Museen können öffentliche Debatten anstoßen. Doch lässt sich mit Angriffen gegen Kunstwerke etwas erreichen? Foto: Colourbox

Das Aktivistenbündnis „Letzte Generation“ sorgt seit Wochen für Aufsehen – auch in der Kunstwelt: Mitglieder der Gruppe kleben sich an Rahmen von Kunstwerken fest – und attackieren von Glasscheiben geschützte Gemälde mit Kartoffelbrei oder Öl. Vor allem eines ist den Aktivistinnen und Aktivisten gelungen: Sie konnten jede Menge Aufmerksamkeit generieren. Doch lässt sich damit etwas erreichen? Wie wird künstlerischer Protest moralisch bewertet? Kommunikationswissenschaftler am Campus Landau gehen solchen Fragen auf den Grund.

Städel Museum in Frankfurt am Main im August 2022: Aus Protest gegen den „tödlichen fossilen Kurs der Bundesregierung“, wie die Gruppe „Letzte Generation“ es selbst erklärt, haben sich zwei Mitglieder an das Gemälde „Gewitterlandschaft mit Pyramus und Thisbe“ von Nicolas Poussin geklebt. Aktivist Raúl Semmler ist beteiligt, im Vorfeld sagt er, Kunst müsse irritieren, Kunst müsse neue Wege aufzeigen. Handlungen, die wirklich etwas riskieren. So wie früher Künstlerinnen und Künstler riskiert haben, „so riskieren wir auch heute und werden dies auch weiterhin tun“. Denn „wir sehen keine anderen Mittel mehr als überall, wo es geht, Aufmerksamkeit dafür zu schaffen“.

In den vergangenen Wochen hat es gleich mehrere solcher Attacken gegen Kunstwerke gegeben. Mal von der Frage abgesehen, ob es als künstlerischer Protest bezeichnet werden kann, sich mit Sekundenkleber an einen Rahmen zu kleben – die Kunstwelt reagiert sehr unterschiedlich auf solche Aktionen: Denn auch wenn die Kunstwerke durch Glasscheiben mutmaßlich vor Kartoffelbrei und Öl geschützt sind – es entsteht ein Sachschaden. Rahmen werden beschädigt. Es stellt sich die Frage, wie Versicherungen mit solchen Aktionen umgehen, die überall und jederzeit stattfinden können: Kann die Glasscheibe tatsächlich alles abhalten? Bleibt das Werk hundertprozentig unversehrt? Einige Museen monieren, dass sie möglicherweise keine Leihgaben aus privatem Besitz mehr bekommen. Andere wiederum entgegnen, Museen seien ein öffentlicher Raum – und damit auch Ort von öffentlichen Debatten. Und dann steht die Meinung im Raum, dass ein so entstehender Sachschaden ein Witz gegen das sei, was uns angesichts der Nichteinhaltung von Klimazielen erwarten würde.

Wie wird künstlerischer Protest bewertet?

Aber was bewirken diese Formen von Protest überhaupt? Kann man damit etwas erreichen? Wie kommen solche Aktionen in der Bevölkerung an? Dr. Berend Barkela forscht am Campus Landau zu Wissenschaftskommunikation und strategischer Kommunikation. Der Sozialwissenschaftler hat im Bereich der Kommunikationspsychologie promoviert. Im Rahmen seiner Forschung untersucht er, welchen Einfluss künstlerischer Protest auf die moralische Bewertung von Protestierenden und ihr Anliegen hat. Und er will wissen, ob sich die Einstellung zu disruptivem Protest – also zu normverletzendem Protest – verändert, wenn der Protest mit einer Kunstaktion verbunden ist: Denn Kunst habe eine gewisse Freiheit zu provozieren, sagt er, Kunstfreiheit gelte als hohes Gut. Im Rahmen von zwei Studien hat er sich dem Thema genähert.

An der ersten Studie nahmen insgesamt 900 Personen teil. Ihnen wurden fiktive Medienberichte zu verschiedenen Protest-Aktionen vorgestellt. Anschließend wurden sie dazu befragt. „In der Studie haben wir insgesamt sechs verschiedene Formen des Protests präsentiert“, differenziert es Berend Barkela, „es wurde ein künstlerischer Protest mit einem nicht-künstlerischen Protest verglichen“. Beides in jeweils unterschiedlichen Formen: friedlich, mit zivilem Ungehorsam einhergehend und gewalttätig.

Der nicht-künstlerische Protest bestand aus einer Sitzblockade im Regierungsviertel. Eine Sprecherin forderte von der Bundesregierung mehr Klimaschutz, um das 1,5-Grad-Ziel einzuhalten. Nur so ließen sich Artensterben, Dürren und Hungersnöte verhindern. Der künstlerische Protest bestand ebenfalls aus einer Sitzblockade im Regierungsviertel – beinhaltetete gleichzeitig eine Performance: Einige der Protestierenden stellten vom Aussterben bedrohte Tierarten dar, die im Laufe der künstlerischen Aktion tot umfielen. Eine Sprecherin erklärte auch hier, dass so auf die Gefahr eines Artensterbens durch den Klimawandel hingewiesen werde. 

Im Rahmen der ersten Eskalationsstufe „ziviler Ungehorsam“ fanden bei beiden Protestformen – also sowohl beim nicht-künstlerischen als auch beim künstlerischen Protest – zusätzlich Straßenblockaden statt. Bei der weiteren Eskalationsstufe „gewalttätig“ – neben Straßenblockaden – bei beiden Protestformen zusätzlich Angriffe auf Autos. 

Die Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer wurden anschließend befragt, als wie unmoralisch sie das Verhalten der Protestierenden einstufen. Die Ergebnisse: Disruption, also Protest, der zerstörerische Ausmaße annimmt, wird als unmoralisch wahrgenommen und führt zu weniger Unterstützung – und das sowohl bei dem künstlerischen als auch bei dem nicht-künstlerischen Protest. Berend Barkela: „Bei friedlichem Protest werden künstlerische Aktionen sogar ganz leicht eher unmoralischer wahrgenommen als nicht-künstlerische Aktionen.“ Der Grund? Möglicherweise sehen Probandinnen und Probanden die Kunst als zu sehr instrumentalisiert.

Und: Die Protestierenden werden eventuell gar nicht als Künstlerinnen und Künstler anerkannt. „Um das auszuschließen wurde genau dieser Faktor in der zweiten Studie überbetont“, wie Berend Barkela erklärt: Insgesamt 1.200 Personen nahmen an dieser Untersuchung teil, die vom Prinzip her ähnlich aufgebaut war: Lediglich wurde in den Medienberichten, die den Probanden vorgelegt wurden, äußerst deutlich betont, dass die Künstlerisch-Protestierenden mit ihrer Performance tatsächlich Kunst geschaffen haben. Zum Beispiel wurde erklärt, dass die Aktivistinnen und Aktivisten eine bekannte Künstlergruppe seien, die auch schon in bekannten Museen ausgestellt hat. Und in einem der Medienberichte wurde ein Kunstwissenschaftler zitiert, der die Aktion als künstlerische Performance bezeichnete. Trotzdem seien die Ergebnisse auch in diesem Fall eher durchwachsen gewesen, sagt Berend Barkela. „Es gibt Hinweise darauf, dass künstlerischer Protest unter bestimmten Bedingungen als weniger unmoralisch wahrgenommen wird.“ Aber überzeugende Unterschiede gebe es nicht.

„Je gewalttätiger Protest ist, umso negativer wird er wahrgenommen“

Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen? Ganz allgemein gesagt: Egal wie gestaltet, je gewalttätiger ein Protest, umso negativer wird er wahrgenommen. Dieser Zusammenhang bestehe auch über verschiedene gesellschaftliche Gruppen hinweg, wie Berend Barkela sagt. Aber: „Je weniger jemand die politischen Positionen der Gruppe teilt, umso stärker ist das ausgeprägt.“ Soll heißen: Menschen aus dem konservativen Lager nehmen disruptiven Klima-Protest bereits in einer früheren Eskalationsstufe als negativ wahr. 

Was heißt das für die Aktivisten der „Letzten Generation“? Berend Barkela: „Auch andere Untersuchungen zeigen, dass radikale, gewaltbereite Proteste dem eigentlichen Thema abträglich sind.“ Die Bewegung „Fridays for Future“ habe eine hohe Bereitschaft in der Bevölkerung aufgebaut, mehr für das Klima zu tun. „Sie haben nicht alle ihre Forderungen durchgesetzt. Aber sie wurden als legitime soziale Bewegung wahrgenommen und durchaus positiv in den Medien dargestellt.“ Genau dieses auch positive Image leide nun unter den radikalen Auswüchsen der Klimabewegung. Wenngleich es nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Aktivisten dennoch ihre Ziele erreichen – denn: „Das Thema erhält Aufmerksamkeit und landet so oder so auf der politischen Agenda.“

Wie können Protestierende auf sich aufmerksam machen?

Wie ist das gelungen? Aus wissenschaftlicher Sicht seien verschiedene Faktoren entscheidend, die Aktivistinnen und Aktivisten Aufmerksamkeit, also auch mediale Aufmerksamkeit, bescheren, wie Berend Barkela erklärt. Das sei zum einen das Erreichen einer bestimmten Größe. Wenn man also beispielsweise eine große Menge von Protestierenden auf die Straße bringt. Zuverlässig für Aufmerksamkeit sorge auch Disruption, ziviler Ungehorsam oder Gewalt. Außerdem fördern symbolische Inszenierungen Aufmerksamkeit, etwa Sprechchöre, einheitliche Kleidung oder inszenierte Performances – insbesondere, wenn sie visuell attraktiv sind für Fernsehaufnahmen und Fotografien. Symbolische und disruptive Aktionen konkurrieren allerdings: „Wenn beides stattfindet, bekommen die disruptiven Aktionen eher Aufmerksamkeit als die symbolisch-kreativen.“

 „Für die meisten Journalistinnen und Journalisten gehört diese Form von Protest nicht zum legitimen Repertoire“

Disruption kam bei Studienteilnehmenden insgesamt nicht gut an. Wie bewerten Journalistinnen und Journalisten gewaltsamen Protest? „Auch hier beobachten wir, dass je distributiver Protest ist, umso stärker berichten Medien über diese negativen Aspekte.“ Bei der Erklärung holt Berend Barkela etwas weiter aus: Medien komme in einer Demokratie eine politische Kontrollfunktion zu. Das gelte nicht nur gegenüber der Politik, sondern auch gegenüber politischen Bewegungen. In der Folge bevorzugen sie tendenziell den Status Quo. Sie lehnen Protest, der sich gegen das System richtet, eher ab. „Für die meisten Journalistinnen und Journalisten gehört diese Form von Protest nicht zum legitimen Repertoire.“

„Die positive Anerkennung und politische Wirksamkeit, wie sie Fridays for Future gelungen ist, wird die Letzte Generation eher nicht erreichen“

Kunst und Protest – Berend Barkela möchte sich deren Bündelung auch weiterhin genau anschauen. Welche Untersuchungsthemen stehen an? „Mich interessiert eine Medieninhaltsanalyse. Also was machen Journalistinnen und Journalisten, wenn sie über nicht-künstlerische Proteste und über künstlerische Proteste berichten. Gibt es hinsichtlich beider Protestformen einen Unterschied in der Berichterstattung?“ Und spiele es eine Rolle, ob der entsprechende Beitrag für den Feuilleton-Teil oder den Politik-Teil einer Zeitung aufbereitet wird? 

Disruptiver Klimaprotest geht derweil weiter. Ob das ein wirksamer Beitrag ist, damit mehr gegen den Klimawandel unternommen wird, ist schwer zu beantworten. Wahrscheinlich ist: Journalistinnen und Journalisten sind solchen Aktionen gegenüber eher kritisch. Und auch die meisten Bürgerinnen und Bürger finden Disruption nicht legitim. Berend Barkela: „Die positive Anerkennung und politische Wirksamkeit, wie sie Fridays for Future gelungen ist, wird die Letzte Generation eher nicht erreichen.“

Der Sozialwissen- schaftler Dr. Berend Barkela hat sich in den Studienfächern Kunstsoziologie und Kommunikations-wissenschaften spezialisiert. Am Fachbereich Psychologie in Landau wurde er 2020 promoviert. Er forscht am Institut für Kommunikationspsychologie und Medienpädagogik in Landau. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftskommunikation und Organisationskommunikation. Besonders interessieren ihn dabei interdisziplinäre Bezüge zur Kunst und Kultur. Foto: Karin Hiller

Wissenschaftliche Veröffentlichungen:

Barkela, B., López, T.G., Klöckner, C.A. (2022). A License to Disrupt? Artistic Activism in Environmental Public Dissent and Protest. In: Klöckner, C.A., Löfström, E. (Ed.), Disruptive Environmental Communication (p. 57–74). Psychology and Our Planet. Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-031-17165-9_4

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