Reallabor Queichland: Ein Labor, in dem jeder mitforschen kann

Das Reallabor Queichland (hier im Mai 2021) bietet auf sechs Hektar Fläche verschiedene Forschungs- und Lernangebote zu den Themen sauberes Wasser, Klimaschutz und Leben an Land. Foto: Reallabor Queichland

Greta Thunberg hat vor ein paar Jahren einen Funken gezündet. Aus den von ihr initiierten Schulstreiks wurde mit Fridays for Future eine globale Bewegung. Tausende Schülerinnen und Schüler weltweit bringen seither die Forderung nach mehr Klimaschutz auf die Straße. Und die Politik in Bewegung. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist der Klimaschutz das bestimmende Thema.

Die Bewegung zeigt also Wirkung. Und gleichzeitig zeigt sie auch, dass die Bemühungen der Einzelnen ankommen. Denn Umweltschutz braucht jeden Einzelnen. Das gilt auch für die Forschung. „Es ist daher wichtig, Umweltwissen zu vermitteln und Menschen zum Umdenken und zum Handeln zu motivieren“, unterstreicht Dr. Alexander Engl. Der Chemiedidaktiker ist Mitglied der Projektleitung des Reallabors Queichland, das von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für drei Jahre gefördert wurde. „Das Konzept des Reallabors ist noch jung und steht für ein innovatives Modell der Kooperation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“, so Engl. Konkret soll ein Reallabor gesellschaftliche Veränderungen zu mehr Nachhaltigkeit anstoßen und diese wissenschaftlich begleiten. Im Vordergrund dieser Kooperation zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft steht das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld. Seit 2019 können im Reallabor Queichland, das auf einer Freifläche im Osten der Stadt Landau rund um das renaturierte Flüsschen Queich entstanden ist, die Bevölkerung gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im öffentlichen Raum forschen, experimentieren und entdecken. 

Bildung im Fokus

„Das Reallabor Queichland ist das einzige Reallabor in Deutschland, das Nachhaltigkeitsbildung in den Fokus gerückt hat“, so Engl. Dabei setzt das Team stark auf die Partizipation der Bevölkerung. „Wir wollen alle Altersgruppen ansprechen“, unterstreicht Engl. Daher hat das Team bereits vor der Eröffnung die Bürgerinnen und Bürgern der Stadt mit einer Umfrage beteiligt und deren Ideen und Anregungen abgefragt. Heute ermöglicht das Reallabor Queichland mit seinen zahlreichen Angeboten Einblicke in umweltwissenschaftliche Forschung, bietet Mitmachangebote zu den Themen „Wasser – Land – Luft“ und eröffnet gleichzeitig Gestaltungsmöglichkeiten für eigene Ideen der Bevölkerung im Kontext Nachhaltigkeit. „In der Anfangsphase war es uns wichtig, Impulse zu setzen und Aktivitäten zu initiieren, damit etwas Gemeinsames entstehen kann“, erklärt Engl. Seit das Reallabor seine Pforten geöffnet hat, sind auch privat initiierte Aktionen entstanden, wie zum Beispiel Urban Gardening. 

Das Reallabor Queichland konzentriert sich auf vier Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDG) der Vereinten Nationen, die diese in ihrer Agenda 2030 formuliert haben: Sauberes Wasser (SDG 6), Maßnahmen zum Klimaschutz (SDG 13) und Leben an Land (SDG 15) – alle unter dem Dach einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (SDG 4). Seit der Eröffnung des Reallabors hat das Team ein vielfältiges Bildungsangebot entwickelt und auf die Beine gestellt. Ein Dach für alle Angebote bildet das Begleitsystem „Weltenformer“, ein Hörspiel für Jugendliche und Erwachsene. „Wir haben zwei Geschichten erarbeitet. Eine für Jugendliche und Kinder und eine für Erwachsene. Die verschiedenen Charaktere diskutieren darin zum Beispiel über Mobilität, nachhaltiges Einkaufen oder Fleischkonsum“, beschreibt Engl. Die Geschichten haben je vier Kapitel. Wer sie hören möchte, muss sich für jedes Kapitel die jeweiligen Abzeichen durch Aktivitäten im Reallabor verdienen. Diese gibt es digital oder als Sticker zum Einkleben ins Weltenformerheft. „Abzeichen bekommt man zum Beispiel durch urbanes Gärtnern oder die Teilnahme am Insektenhotelworkshop. Man kann aber auch etwas Eigenes ins Leben rufen“, sagt Engl. Ein weiteres Angebot: In den wärmeren Jahreszeiten können sich Interessierte im Experimentier-Café ausprobieren. Im sogenannten Blauen Klassenzimmer, einem Ort, wo sich Gruppen auf dem Gelände zusammenfinden können, wird entweder ein bestimmtes Thema behandelt oder es wird offen diskutiert und experimentiert. „Dort wird dann zum Beispiel die Queich untersucht, es geht um die Themen Düngung, Pflanzen oder den landwirtschaftlichen Bereich“, sagt Engl.

Forschung zur Wirksamkeit der Bildungsangebote 

Um ein Kapitel des Weltenformer-Hörspiels freizuschalten, muss ein Fragebogen ausgefüllt werden. Die Projektgruppe des Reallabors will so herausfinden, wie die Bildungsangebote wirken. „Im Fragebogen wird erhoben, wie die Geschichte auf die Teilnehmenden gewirkt hat, wie gut sie transportiert wird. Mit den Kurzfragebögen wollen wir auch das Umweltverhalten, die Umwelteinstellung und die Naturverbundenheit der Teilnehmenden herausfinden“, sagt Engl.

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie machten der Forschung allerdings einen Strich durch die Rechnung. Die Gruppe erreichte bisher nicht so viele Leute wie sie wollte. „Bisher haben wir viele Einzelfallanalysen betrieben von Personengruppen, die ein- oder zweimal auf dem Gelände waren. Die Personen, die daran teilnehmen, sind aber meist Leute, die ohnehin eine Affinität zur Nachhaltigkeit haben“, erklärt Engl. Deshalb setzt das Reallabor bei der Erhebung der Forschungsdaten nicht nur auf freiwillige Personen, sondern zum Beispiel auch auf Schulklassen, wo nicht per se jeder von sich aus Interesse an Nachhaltigkeitsthemen und entsprechenden Angeboten im Reallabor hat. Die Projekt-Gruppe arbeitet bei ihren Aktionen unter anderem mit dem Eduard-Spranger-Gymnasium, der Integrierte Gesamtschule Landau (IGS), der Horstring-Grundschule und der Paul-Moor-Schule, sowie der protestantischen Kindertagesstätte Spiel-und-Lernhaus zusammen.

Kooperationen mit Schulen und weiteren Partnern

Das Reallabor kooperiert aber nicht nur mit Schulen und Kitas, sondern auch mit vielen Partnern der Region. So organisiert zum Beispiel die Naturschutzbund (NABU) Gruppe Landau-Stadt viele Bildungsangebote auf dem Gelände, beispielsweise Familientage oder Kurse im Rahmen des Landauer Ferienprogramms. Die Stadt Landau wiederum hilft bei der Unterhaltung und der Ausstattung der Fläche. Auf dieser wird über mehrere Stationen das Thema Wasser im Kontext der Nachhaltigkeit dargestellt. Dazu misst eine Gruppe des ans Gelände angrenzenden ESG in regelmäßigen Abständen chemische Parameter des Wassers und notiert sich die Daten. In Projektwochen werden die Gewässer laut Engl dann analysiert. Das Projekt ist Teil der Aktion Blau plus, ein Aktionsprogramm des Ministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz, das die Wiederherstellung von naturnahen Gewässerzuständen zum Ziel hat.

Ein Paradebeispiel, wie sich Wissenschaft in die Bevölkerung einbeziehen lässt, ist, so Engl, das Urban Gardening – also die gärtnerische Nutzung städtischer Flächen. Dieses Projekt, das ebenfalls im Reallabor Queichland Platz findet, hat eine Gruppe Studierende ins Leben gerufen. Die Gruppe bewirtschaftet auf dem Gelände verschiedene Hochbeete. Daran beteiligen kann sich jeder. Die Beete sind frei zugänglich. „Das Urban Gardening-Projekt soll auch für nachhaltigere Bewirtschaftungsformen sensibilisieren“, erklärt Engl.

Erkenntnisse für Lehrerbildung

An der Bürgerbefragung, die vor der Eröffnung des Reallabors Queichland durchgeführt wurde, nahmen rund 200 Personen teil. Generell haben die Teilnehmenden eine hohe Technikpräferenz, schätzen ihre eigene Kompetenz aber nicht so hoch ein, so ein Ergebnis der Umfrage. Des Weiteren gab die Mehrheit an, eine niedrige Naturausnutzungspräferenz zu haben und auf Umweltschutz zu achten. Sprich: Viele der Befragten achten zum Beispiel darauf, Energie zu sparen. Ebenfalls viele gaben als Wunsch an, das Wasser untersuchen zu wollen oder Pflanzen und Tiere besser kennenzulernen. Die Bürgerumfrage soll nun wiederholt werden, um zu sehen, ob die befragten Bürgerinnen und Bürger auch bei den Aktionen im Reallabor aktiv waren und die Angebote vor Ort genutzt haben, ob sich das Umweltbewusstsein oder die Technikaffinität geändert haben oder die Bekanntheit der SDGs gewachsen ist.

Die Erkenntnisse, die Engl und das Team des Reallabors Queichland aus dem Projekt ziehen, fließen in die Lehrerbildung am Campus Landau mit ein. „Die Methodik, Schülerinnen und Schüler selbst eigene Experimente durchführen zu lassen und sich von einer Geschichte als Rahmenhandlung leiten zu lassen – also Storytelling –, kann auch in der Fachdidaktik eingesetzt werden, um die Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen“, sagt Engl.

Gutes Bauchgefühl soll überprüft werden

Auch die Stadt soll von den Erkenntnissen profitieren. So werden die Netzwerke der unterschiedlichen Akteure sukzessive ausgebaut. Diese sind zum Beispiel die Energie Südwest (Energieversorger der Region Südpfalz), das Biosphärenreservat Pfälzerwald Nordvogesen oder der Entsorgungs- und Wirtschaftsbetrieb Landau (EWL, einer Anstalt des öffentlichen Rechts, die zuständig für die Bereiche Abfall, Abwasser und Straßenreinigung ist). Außerdem soll ein sozialer, nachhaltiger Stadtgarten auf dem Gelände des Reallabors errichtet werden, der der Bevölkerung zugutekommt. Die Ergebnisse sollen publiziert und im Optimalfall in einem Anschlussprojekt genauer untersucht werden. „Das Reallabor gibt ein gutes Bauchgefühl. Zur Überprüfung der Wirksamkeit der Angebote im Reallabor muss aber über dieses hinaus geforscht werden. Eine Mitarbeiterin wird diese Fragestellung in ihrer Promotion hoffentlich auch noch einmal aufgreifen“, sagt Engl.

Die Forschungsarbeit des Reallabors ist noch nicht beendet. Umweltbewusstsein ändere sich laut Engl nicht von jetzt auf morgen. Meist passiere das durch „krasse Einzelerlebnisse“ oder langsam über einen längeren Zeitraum. Die bisherigen Ergebnisse würden aber zeigen: Je länger sich Personen damit auseinandersetzen, umso eher ändert sich deren Handeln. „Das zeigt sich auch in den Werten der Personen, die einmal teilgenommen haben. Da geht der Wert des Umweltbewusstseins kurzzeitig hoch, stabil bleibt er aber nur bei den Personen, die länger daran arbeiten.“

Förderung Ende 2021 ausgelaufen

Seit 2018 arbeitet die Gruppe an dem Projekt Reallabor Queichland. Von 2019 bis 2021 wurde es von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit rund 300.000 Euro gefördert. Diese Förderung ist laut Engl für die Infrastruktur, die wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Materialien. 

Zum Abschluss der Förderphase hat die Projektgruppe mit den Queichparkplaudereien nochmal eine aufwendige Aktion umgesetzt. „Wir haben eine vierteilige Dokumentation auf dem Gelände gedreht, wo sich die Kooperationspartner vorstellen. Jede 20-minütige Folge hat dabei ein SDG im Fokus“, verrät Engl. Er selbst stellt in einer Folge das Experimentier-Café vor, der EWL zeigt zum Beispiel, wie Abwasserreinigung funktioniert. Die Filmchen sind auf dem Youtube-Kanal des Reallabors zu sehen.

Reallabor geht weiter

Für Engl ist klar: Das Reallabor geht weiter: „Es war unser Ziel, in den drei Jahren der Förderung durch die DBU eine trägerlose Bildungslandschaft aufzubauen. Ich denke, das haben wir durch die verschiedenen Kooperationspartner, die Aktionen und das Netzwerk, das wir aufgebaut haben, auch ganz gut geschafft.“ Mit Partnern wie der Stadt Landau, dem EWL, Energie Südwest oder den kooperierenden Bildungseinrichtungen sollen auch künftig Aktionen geplant werden. Aktuell erarbeitet eine Studierende in ihrer Masterarbeit eine Audiotour. Eine Promotion im Projekt beschäftigt sich mit dem Thema Virtual Reality und will das Reallabor durch die Abbildung in der virtuellen Welt überall auf der Welt zugänglich machen. Um das zu ermöglichen, werden auch Ausschnitte aus den Angeboten online über Open Educational Resources, also frei zugänglichen Lern- und Lehrmaterialien zu Verfügung gestellt.

Nun wird sich zeigen, wie stabil das Netzwerk ist. „Wir sind in Kontakt mit dem pädagogischen Landesinstitut und mit weiteren Schulen. Es finden auch regelmäßig Kooperationspartnertreffen statt.“ Nach der intensiven Aufbauarbeit soll das Projekt nun nach und nach in die Hände der Kooperationspartner übergeben werden. Festangestellte Personen wie Engl werden auch weiterhin in dem Projekt beschäftigt sein. Um das Gelände werden sich Freiwillige kümmern, die an der Universität ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) absolvieren. Auch überlegt das Team, einen Verein zu gründen, der sich künftig um das Gelände kümmert.

Dr. Alexander Engl studierte in Landau Chemie und Biologie auf Gymnasiallehramt. Seit 2013 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Chemiedidaktik an der Universität Landau, wo er auch im Bereich Chemie und Natur promovierte. Neben dem Projekt Reallabor Queichland betreut er auch Doktoranden an der Universität. Engl interessiert sich auch privat für Nachhaltigkeit und die Bewegung Fridays for Future.

Studien & Literatur (eine Auswahl)

Risch, B., Engl, A., Rieger, M., Rudolf, B. & Schehl, M. (2019). Reallabor Queichland – gemeinsames Gestalten einer Lernumgebung im Kontext Nachhaltigkeit. Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, 42 (3), 22–26.

Risch, B., Engl, A., Rieger, M., Rudolf, B. & Schehl, M. (2019). Reallabor Queichland – Bildung für nachhaltige Entwicklung in einer authentischen Lernumgebung. Transfer Forschung  Schule, 5 (1), 202–212.

Engl, A., Schehl, M., Rieger, M., Rudolf, B., Volz, D. & Risch, B. (2020). Gemeinsam Entdecken und Forschen im Reallabor Queichland. In: S. Habig (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Kompetenzen in der Gesellschaft von morgen. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung in Wien 2019 S. 693-696. Essen: Universität Duisburg-Essen. 

Rieger, M., Engl, A. & Risch, B. (2020). Virtuelle Exkursionen 2.0. Neue Technologien für zukünftiges Lernen. In: S. Habig (Hrsg.), Naturwissenschaftliche Kompetenzen in der Gesellschaft von morgen. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Jahrestagung in Wien 2019 S. 697-700. Essen: Universität Duisburg-Essen.

Platz, M., Rieger, M., Rapp, J., Risch, B., Hartmann, M. & Riedler, B. (2020). Geolocated Learning Environments and Capacity Building for Tailored Support in the Context of an Open Web Index. Presented at the Open Search Symposium 2020 (OSSYM-2020), CERN, Geneva, Switzerland: Zenodo. http://doi.org/10.5281/zenodo.4609362

Bohlen, S., Volz, D., Risch, B. (Schülerbeitrag und -vortrag LeLa 2020). PIPERIN – eine pfeffrige Lösung gegen die Plagegeister. In: LeLa Magazin. Neues aus dem Bundesverband. 27/2020.

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