Vom „Expression-Effect“ und Fake News: Meinungen in Zeiten von Social Media 

Soziale Medien haben ein großes Gewicht in der Meinungsbildung. Problematisch wird es, wenn Äußerungen nicht der Wahrheit entsprechen. In Landau wird zu den Auswirkungen von Meinungsäußerungen auf Social Media geforscht. Foto: Colourbox

Welche Auswirkungen hat der Facebook-Post des Nachbarn zum Ukraine-Krieg? Wieso glauben so viele an Verschwörungen in der Corona-Pandemie? Und wer sind eigentlich die Leute, die den Aussagen des US-amerikanischen Ex-Präsidenten Donald Trump Glauben schenkten? Der Medienpsychologe Prof. Dr. Stephan Winter untersucht solche Fragen. In zwei Studien beschäftigte er sich unter anderem mit dem „Expression-Effect“ und Fake News auf Social Media.

Wir leben in politisch unruhigen Zeiten. Zeiten in denen wenige Worte oder kleine Taten viel ausrichten können. Je nachdem wie man diese Worte und Taten platziert und an wen man sie richtet, können sich daraus Meinungen bilden und ungeahnte Konsequenzen ergeben. Auch wenn die Äußerungen nicht immer der Wahrheit entsprechen.

Medienpsychologe Stephan Winter untersucht das menschliche Denken, Fühlen und Handeln in Bezug auf digitale Medien und forscht schwerpunktmäßig in den Bereichen Meinungsbildung und -äußerungen in Sozialen Medien. „Wir schauen, wer sich zu welchen Themen zu Wort meldet, wem man vertraut und welche Konsequenzen das hat“, sagt er.

Welchen Effekt haben Meinungsäußerungen auf den Sender?

Die Forschungen von Winter finden dabei sowohl im Labor als auch im Feld statt. In einer im September 2021 veröffentlichten Studie untersuchte er gemeinsam mit den beiden Master-Studentinnen Anne Vos und Paola Remmelswaal von der University of Amsterdam die Anpassung und die Verinnerlichung der eigenen Meinung auf Social Media. „Bisher wurde meist beobachtet, welchen Effekt Meinungsäußerungen auf den Empfänger haben. Sprich, wie leicht werden Nutzer von Sozialen Medien zum Beispiel von Fake News beeinflusst. Was dabei bisher weniger beachtet wurde, ist der Effekt auf den Sender selbst“, erklärt Winter.

Der Wissenschaftler wollte wissen, wie sehr Personen durch das öffentliche Äußern einer Meinung dazu neigen, gewisse Positionen zu verinnerlichen. „Wenn ich zum Beispiel Personen in meinem Freundeskreis habe, die der Fridays-for-Future-Bewegung angehören, und ich „like“ deren Sachen in den Sozialen Medien, dann kann es passieren, dass ich immer mehr selbst deren Meinung annehme – weil ich mich öffentlich dazu bekannt habe.“

Facebook-Posts festigen Meinung

Um diesen Effekt zu erforschen, legte Winter 302 Studierenden der University of Amsterdam, wo Winter vor seiner Zeit in Landau lehrte und forschte, Texte zu einem Nachrichtenthema vor. Darin ging es um eine Diskussion, ob Fahrrad-Sharing in Amsterdam verboten werden sollte. Zu den Texten wurden den Studierenden auch Kommentare von anderen Personen vorgelegt, die sich auf die Texte bezogen. Diese Texte bekamen sie entweder über Social Media, ein Online-Forum oder über ein Text-Dokument vorgelegt. Nach dem Lesen der Texte und der zugehörigen Kommentare gaben die Studierenden ihre private Meinung in einem Fragebogen ab. Im Anschluss wurde jeder gebeten, seine Meinung kundzutun – entweder in einer Social-Media-Gruppe über ihre eigenen Facebook-Accounts, in einem anonymen Online-Forum oder in einem privaten Text-Dokument. Nach einer Pause fragten Winter und sein Team dann erneut nach der privaten Meinung. „Wir konnten feststellen, dass diese sich in den meisten Fällen gefestigt hatte und noch mehr in Richtung des Postings ging“, sagt Winter.

„Expression-Effect“ nicht nur auf Social Media

Grundsätzlich würden sich die meisten Leute an der dargestellten Mehrheitsmeinung orientieren. Spricht sich wie in der Beispiel-Studie eine Mehrzahl in den Kommentaren für den Erhalt von Fahrrad-Sharing aus, so ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch der Leser der Kommentare zunächst davon überzeugt ist. „Postet dieser seine Überzeugung nun in den Sozialen Medien oder einem Forum, internalisiert er diese und seine Meinung geht noch stärker in die Richtung als vorher.“

Dieser sogenannte „Expression-Effect“ sei allerdings nicht spezifisch auf Social Media zurückzuführen. Auch bei den Personen, die im Forum unterwegs waren, hat der Effekt laut Winter stattgefunden. In den bekannten Sozialen Medien sei er aber besonders relevant für die Praxis, da es in starken Social-Media-Gruppen häufiger zu polarisierenden Meinungsextremen kommen kann.

Praxisforschung ethisch schwierig

Winter wählte bewusst die Untersuchung im Labor, um grundlegende Prozesse zu untersuchen und zu schauen, ob es diese Prozesse überhaupt gibt. Dabei sei es wichtig gewesen, die Laborsituation möglichst realistisch zu gestalten. Deshalb nutzten die Studierenden auch ihre echten Facebook-Profile. Ethisch sei es aber schwierig, hochpolitische Themen über einen längeren Zeitraum in der Praxis zu erforschen, so Winter, da so aktiv in die Meinungsbildung eingegriffen werde.

Dennoch geht es für das Forschungsteam im nächsten Schritt nun ins Feld. „Wir können jetzt bestimmte Social-Media-Gruppen und Postings analysieren und diese Analysen mit der Befragung von Teilnehmenden koppeln“, sagt Winter. Dabei wollen Winter und sein Team zum Beispiel schauen, wie sich die Einstellungen von Personen in Postings und Kommentaren entwickeln und inwieweit diese Entwicklung von Feedback abhängt, wie etwa Kommentare von anderen Nutzern zu den eigenen Postings.

Wirkung von Fake News während der Covid-19-Pandemie

Wie die Studie zeigt, können sich Meinungen also durch das eigene Veröffentlichen beziehungsweise Äußern verfestigen. Winter untersuchte im April und Mai 2020 in einer anderen Studie aber auch, wo diese Meinungen herkommen und wer sich auf welcher Grundlage welche Meinungen bildet. Zu dem Zeitpunkt bot es sich an, die Forschung anhand der Covid-19-Pandemie durchzuführen. Gemeinsam mit Lea-Johanna Klebba, die in Landau zurzeit an ihrer Dissertation arbeitet, wollte er vor allem schauen, auf wen Fake News welche Wirkung haben.

Doch was sind Fake News überhaupt? „Fake News sind Nachrichten, die empirisch falsch sind, aber als wahrhaftig verkauft werden. Sie sollen die Meinungen der Konsumenten beeinflussen und sind zum Beispiel motiviert durch ein finanzielles Interesse oder das Generieren von hohen Klickzahlen“, sagt der Wissenschaftler. Dabei seien Fake News nicht immer komplett falsch, sondern manchmal nur verzerrt. Fake News würden auch nicht jede Person sofort beeinflussen. So sei in der Regel eine entsprechende Voreinstellung nötig und politisch gut informierte Personen seien schwerer zu überzeugen. „Man geht davon aus, dass man besonders anfällig für Falschinfos ist, die das eigene Weltbild stützen und für solche, die scheinbar sozial überprüft sind, also zum Beispiel viele Likes haben“, sagt Winter.

Rechte und politisch misstrauische Personen glauben Fake News mehr

In einem Online-Fragebogen legten Winter und Klebba rund 1000 Teilnehmern, die einer repräsentativen Stichprobe für die deutsche Bevölkerung entspricht, richtige und falsche Schlagzeilen zu Covid-19 vor. Die Zusammensetzung nach Alter, Geschlecht und Bildungsgrad übernahm ein Marktforschungsunternehmen. Die Personen sollten nun auswählen, welche Schlagzeile sie weiterlesen wollen und angeben, für wie glaubwürdig sie die Informationen darin halten. „Die Fake News wurden besonders häufig von Leuten ausgewählt, die der Politik misstrauen und rechtsautoritäre Ansichten haben. Diese Gruppe will zum Beispiel starke Hierarchien und sieht Zuwanderung kritisch.“

Winter hat einen psychologisch-theoretischen Erklärungsansatz: Ansichten, dass Corona nicht so schlimm sei, oder dass Einschränkungen unbedingt vermieden werden sollten, kämen im konservativen oder rechten Spektrum vom Grund auf vermehrt vor. Dementsprechend würden Informationen, die das eigene Weltbild stützen, als positiver und glaubwürdiger bewertet und kognitive Dissonanzen würden abgebaut.

Sind Linke genauso anfällig wie Rechte?

„Eine andere Überlegung ist, dass Menschen an politischen Extremen generell rigider und härter in ihrer Einschätzung sind“, vermutet Winter. Dabei gebe es Autoren, die behaupten, am rechten Rand sei diese Beobachtung stärker zu sehen als am linken. Laut Winter kann das aber nicht zu einhundert Prozent am aktuellen Weltbild gezeigt werden. „Vielleicht ist es nur ein historischer Zufall, dass es gerade im rechten Spektrum ein breites Angebot an Fake News gibt. Vielleicht sind Linke auch anfällig für andere Falschmeldungen, die in ihr Weltbild passen.“ Winter und sein Team wollen deshalb weiter untersuchen, wie die eigene Ideologie und das Glauben von Falschinfos zusammenhängen.

Mit den Ergebnissen können die Forscher sehen, welche Personen besonders gefährdet sind. So wollen sie dann Interventionen und Medienkompetenzentwicklung auf bestimme Personen zuschneiden können. Doch wie geht das?

Propaganda keine Wunderwaffe

„Einige Autoren haben simple Tools entwickelt. Zum Beispiel erscheint beim Lesen eines Textes der Hinweis, die Quellen zu prüfen. Es kann auch ein paar Mal wiederholt gefragt werden, für wie akkurat der Leser die Informationen hält. Das ist aber nur kurzfristig wirksam“, erklärt Winter. „Jemand, der sehr stark motiviert ist, wird sich nicht von einer Einblendung davon abbringen lassen.“

Sinnvoller sei es da, eine ergebnisoffene Haltung bereits im schulischen Kontext zu vermitteln. Dabei soll Schülerinnen und Schülern gezeigt werden, wie sie überprüfen können, ob Informationen stimmen und, dass es überhaupt sinnvoll ist, diese zu überprüfen. „Wir brauchen eine Offenheit bei den Leuten. Eine einfache Lösung gibt es dafür aber nicht.“ Winter findet aber auch, dass das Problem nicht überdramatisiert werden sollte, da es unwahrscheinlich sei, dass jede Person sofort alles glaubt: „Propaganda ist auch keine Wunderwaffe.“

Prof. Dr. Stephan Winter ist seit 2018 Professor der Medienpsychologie an der Universität Landau. Seine Forschungsschwerpunkte sind dort aktuell Meinungsbildung und -äußerungen in Sozialen Medien. Zuvor war er Assistant Professor für persuasive Kommunikation an der Universität Amsterdam. Er promovierte an der Universität Duisburg-Essen. Nach und während seines Studiums war er als Zeitungs- und als Radiojournalist tätig.

Studien und weiterführende Literatur (eine Auswahl)

Winter, S., Neubaum, G., Stieglitz, S., & Ross, B. (2021). #Opinionleaders: a comparison of self-reported and observable influence of Twitter users. Information, Communication, & Society, 24, 1533-1550. doi:10.1080/1369118X.2019.1705374 

Winter, S. (2020). Do anticipated Facebook discussions diminish the importance of argument quality? An experimental investigation of attitude formation in social media. Media Psychology, 23, 79-106. doi:10.1080/15213269.2019.1572521

Pennycook, G., Epstein, Z., Mosleh, M., Arechar, A. A., Eckles, D., & Rand, D. G. (2021). Shifting attention to accuracy can reduce misinformation online. Nature. Advance online publication. https://doi.org/10.1038/s41586-021-03344-2

Zimmermann, F., & Kohring, M. (2020). Mistrust, disinforming news, and vote choice: A panel survey on the origins and consequences of believing disinformation in the 2017 German parliamentary election. Political Communication. https://doi.org/10/ggh6ft

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