Wie gelingt mehr Klimaschutz? „Eine Verzahnung von individuellen und systemischen Veränderungen wäre am besten“

Um eine klimafreundlichere Gesellschaft zu erreichen, ist jeder Einzelne gefragt. Aber auch die Strukturen, in denen wir leben, müssen angepasst werden. Foto: Colourbox

Lokale und saisonale Produkte essen, auf große Mengen Fleisch verzichten, wenig Wasser verbrauchen, nicht ständig neue Kleidung kaufen, das Auto auch mal stehen lassen – und Produkte mit Plastik am besten ganz meiden. Das sind nur einige der Maßnahmen, mit denen es gelingen kann, den individuellen CO2-Fußabdruck zu verbessern. Doch reicht das aus? Kann eine Gesellschaft aufgrund von individuellen Maßnahmen umweltfreundlicher werden? 

Genau mit diesen Fragen beschäftigen sich Professor Dr. Gerhard Reese und sein Team am Campus Landau. Dazu haben sie Fachleute aus Politik, Wissenschaft und Unternehmen interviewt. Gerhard Reese: „Zentrale Fragen waren, was Hemmnisse und Katalysatoren eines umweltbewussten Verhaltens sind.“ Eine Erkenntnis sei dabei gewesen, so erklärt es Reese, dass der Fokus bei Umweltfragen tatsächlich allzu oft auf dem einzelnen Individuum liege. Selbstverständlich sei eine Bewusstmachung für das Handeln eines jeden Einzelnen richtig, ergänzt der Professor, „es lenkt aber auch ab. Es lenkt von systemischen Veränderungen ab, die nötig wären.“ Um tatsächlich etwas auszurichten, müsse eine kollektive Ebene erreicht werden. Die Fridays for Future-Bewegung macht es vor: „Es geht um mehr Community. Und die damit einhergehenden stärkeren Hebel.“ Vor allem mit einem Wir-Gefühl ließe sich eine sozioökologische Transformation auch tatsächlich stemmen.

Das Wir-Gefühl nutzen

Aber wie könnte ein solches Wir-Gefühl forciert werden? Gerhard Reese nennt ein konkretes Beispiel: „Jeder kennt die Hinweis-Zettel in einem Hotelzimmer, dass man Energie spart, wenn man Handtücher mehrmals nutzt.“ Das bringe meist nichts. „Steht auf dem Zettel aber, dass 75 Prozent der Hotelgäste ihre Handtücher mehrmals nutzen, dann hat das sehr wohl einen Effekt. Das haben Untersuchungen gezeigt.“ Unser Handeln werde nun mal davon beeinflusst, was andere Menschen tun. Genau zu diesem Thema hat auch er  – gemeinsam mit seinem Team – Untersuchungen angestellt. Dazu haben sie sich in Mehrfamilienhäusern mit den Briefkästen beschäftigt, sich angeschaut, wer die Aufschrift „Bitte keine Werbung“ angebracht hat. Immerhin trägt der Hinweis dazu bei, plastik- und papierverschwendende Werbung zu vermeiden. „Wir haben herausgefunden, dass je mehr Nachbarn einen solchen Aufkleber haben, desto mehr war man selbst gewillt, sich einen entsprechenden Hinweis auf den Briefkasten zu kleben.“ Gerhard Reese: „Letztendlich neigen wir dazu, uns einer Mehrheit anzupassen.“ Oder anders ausgedrückt: „Wenn mein Umfeld bereit ist, mehr für den Umweltschutz zu tun, dann steigt auch meine Bereitschaft.“

„Eine Verzahnung von individuellen und systemischen Veränderungen wäre am besten“

Das Wir-Gefühl als Katalysator. Und was sind hemmende Effekte, die uns von einem umweltbewussten Verhalten abhalten? Der Umweltpsychologe erklärt: „Das kann oftmals im System und den Strukturen verankert sein. Wenn Sie auf dem Land wohnen, dann ist ein Alltag ohne Auto so gut wie nicht möglich.“ Das liege nun mal an den Gegebenheiten. Und Reese erklärt weiter: „Zudem leben wir in einem Wirtschaftssystem, das Konsum und umweltschädliches Verhalten nach wie vor fördert. Nehmen Sie beispielsweise nur mal die Pendlerpauschale. Wir haben uns an einen gewissen Lebensstandard gewöhnt. Dass eine Familie zwei Autos hat und zweimal im Jahr in den Urlaub fliegt, wird nicht weiter hinterfragt.“ 

Wolle man beim Umweltschutz wirklich etwas erreichen, fasst es Gerhard Reese zusammen, dann sei eine Verzahnung von individuellen und systemischen Veränderungen nötig: Jeder Einzelne aber auch die Strukturen, in denen wir leben, müssen sich verändern. 

Organisationen können für Nachhaltigkeit sensibilisieren

Um große strukturelle Veränderungen anzugehen, ist selbstverständlich die Politik gefragt. Geht es etwa darum, öffentliche Verkehrsmittel verstärkt auch auf dem Land anzubieten. Doch was könnten beispielsweise Organisationen oder Unternehmen beitragen? Gerhard Reese meint: „Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssten vor Ort öffentlich mehr in den Vordergrund treten.“ Eine Organisation könne beispielsweise auf ihrer Homepage damit werben, dass man auf dem Weg sei, eine klimaneutrale Einrichtung zu werden. „Bei der Beschaffung – gerade in öffentlich finanzierten Einrichtungen – könnten beispielsweise ökologische Kriterien eine größere Rolle spielen und damit Vorbildcharakter schaffen.“ Auch könne man den Mitarbeitenden mehr Möglichkeiten geben, sich klimaschonend zu verhalten. Indem man es ihnen beispielsweise erleichtert, Dienstreisen mit dem Zug durchzuführen. Und auch beim Kantinen- oder Mensaessen gebe es hinsichtlich ökologischer Gesichtspunkte mancherorts sicherlich noch Luft nach oben.

Naturerlebnisse sorgen für Erholung

Im Rahmen seiner Forschung geht Gerhard Reese aber nicht nur der Frage nach, wie unsere Gesellschaft umweltbewusster werden kann. Er will auch wissen, inwieweit wir Menschen von der Natur profitieren. „Die Frage ist hierbei“, erklärt Reese, „ob und wie sich Naturerlebnisse auf die Gesundheit auswirken.“ Es gehe um Erholung und Stressreduktion. In einer Studie hat er mit seinem Team untersucht, ob eine virtuelle und eine tatsächliche Naturerfahrung ähnlich effektiv sind. Insgesamt 50 Studierende nahmen als Probanden an dem Experiment teil: Eine Gruppe von ihnen ging draußen im Fort (hinter dem Campus Landau) für etwa zehn Minuten spazieren. Eine andere Gruppe unternahm den gleichen Spaziergang virtuell – und saß dabei eigentlich drinnen im Labor vor einem Computer. Interessanterweise zeigte sich bei beiden Gruppen ein Erholungseffekt: „Der Spaziergang draußen zeigte lediglich ein kleines Plus, brachte also ein klein wenig mehr Erholung.“ Das liege laut Reese beispielsweise daran, dass die Probanden hierbei in körperlicher Bewegung waren. „Und auch der Kontakt zum Boden und die frische Luft spielen eine Rolle.“ Doch letztendlich gebe das Experiment den Hinweis, dass auch ein virtueller Erholungsspaziergang seinen Nutzen hat. Eine interessante Erkenntnis für alle, die – aus welchen Gründen auch immer – zur Erholung nicht jederzeit raus an die frische Luft können. Reese und sein Team differenzierten diesen Nutzen sogar noch etwas weiter: Verglichen wurde auch, ob es einen Unterschied macht, wenn man den Rundgang selbst virtuell durchführt – oder von einem Versuchsleiter durchgeführt wird: „Hier haben wir herausgefunden, dass es dem Stressabbau noch besser dient, wenn man von einem Versuchsleiter durch den virtuellen Rundweg hindurchgeführt wird.“ 

Klimaangst als Motivator?

Die Natur und der Mensch – und wie sie sich gegenseitig beeinflussen. In zukünftigen Forschungsprojekten möchte sich Gerhard Reese zudem mit dem Thema Klimaangst auseinandersetzen. Also mit der Emotion, die der Klimawandel und seine Folgen bei uns auslösen können. Reese: „Die Frage ist zunächst, gibt es so etwas in Deutschland. Und wie verbreitet ist es?“ Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass etwa 10 bis 15 Prozent der Bevölkerung von einer Klimaangst betroffen sein könnten. Und es gebe laut Reese auch den Zusammenhang, dass je stärker man von Klimaangst betroffen ist, desto höher sei die Motivation, sich klimaschützend zu verhalten. Er betont jedoch, dass es bisher zu wenige empirische Studien gebe, um eindeutige Handlungsempfehlungen auszusprechen.

Studiengang bildet interdisziplinäre Fachleute aus

Und auch den von ihm geleiteten Studiengang „Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie“ möchte Gerhard Reese in den nächsten Jahren weiter ausbauen. „Der Studiengang ist interessant für alle, die sich auf interdisziplinärer Ebene mit Psychologie und Sozialwissenschaften einerseits und Umweltfragen andererseits auseinandersetzen möchten.“ Und wo könnten Absolventen später tätig werden? „Sie können in Ministerien, Ämtern oder auch auf NGO-Ebene arbeiten. Auch in Unternehmen im Nachhaltigkeitsmanagement.“ Interdisziplinäre Fachleute also, die in den nächsten Jahren sicherlich gebraucht werden – sowohl um individuelle als auch um strukturelle Veränderungen voranzubringen.


Prof. Dr. Gerhard Reese ist seit 2016 Professor für Umweltpsychologie am Campus Landau. Er hat an den Universitäten Erfurt, Jena und Canterbury Psychologie studiert, und sich 2010 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena promoviert. Seine primären Forschungsinteressen sind: Umweltschutzverhalten, sozial-ökologische Transformation, Soziale Identität und Intergruppenprozesse, Globalisierung, sowie soziale und globale (Un)gleichheit. Zudem ist er Leiter des Studiengangs „Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie“. Foto: P. Sittinger

Wissenschaftliche Veröffentlichungen (eine Auswahl)

Eker, S., Reese, G., & Obersteiner, M. (2019). Modelling the drivers of a widespread shift to sustainable diets. Nature Sustainability2(8), 725-735.

Reese, G., Stahlberg, J. & Menzel, C. Digital shinrin-yoku: do nature experiences in virtual reality reduce stress and increase well-being as strongly as similar experiences in a physical forest?. Virtual Reality (2022). https://doi.org/10.1007/s10055-022-00631-9

Reese, G., Hamann, K. R., Heidbreder, L. M., Loy, L. S., Menzel, C., Neubert, S., … & Wullenkord, M. C. (2020). SARS-Cov-2 and environmental protection: A collective psychology agenda for environmental psychology research. Journal of Environmental Psychology70, 101444.

weitere Veröffentlichungen

Das Thema in den Medien

Klimaangst – Wie sie motiviert und wann sie lähmt – SWR 2

Warum wir den Klimawandel verstehen, aber trotzdem nicht nachhaltig leben. Der SPIEGEL

Zum IPPC-Bericht: „Kann nichts herauslesen, was in irgendeiner Form Optimismus entfacht“. FAZ

Warum reden wir immer noch am Klimawandel vorbei? Die ZEIT

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