Wie wirkt sich das Schulfach Wirtschaft auf wirtschaftliche Kompetenzen aus?

Wirtschaftliche Kompetenzen helfen, sich im Alltag besser zurechtzufinden - sei es bei der Frage nach einer privaten Altersvorsorge oder bei Geldanlagen. Die Beschäftigung mit wirtschaftlichen Themen in der Schule zeigt eine positive Wirkung auf die Wirtschaftskompetenz und das wirtschaftliche Interesse, so das Ergebnis einer Landauer Studie. Foto: Colourbox

„Wirtschaftskompetenz wird mit Blick auf immer komplexere Alltagsanforderungen immer wichtiger“, sagt Professor für Wirtschaftswissenschaften Dr. Günther Seeber von der Arbeitsgruppe ökonomische Bildung. In einer Langzeitstudie hat er gemeinsam mit seinem Kollegen Juniorprofessor Dr. Tim Kaiser untersucht, welchen Einfluss das Schulfach Wirtschaft auf die ökonomischen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern hat. Und schaute dabei in das Nachbarbundesland Baden-Württemberg.

In der Marktwirtschaft brauchen Verbraucherinnen und Verbraucher immer höhere wirtschaftliche Kompetenzen, wenn sie sich beispielsweise um ihre private Altersvorsorge kümmern wollen und zwischen all den Angeboten eine rationale Entscheidungen treffen wollen. „Es wird diskutiert, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis 70 arbeiten müssen, gleichzeitig werden  die Rentenbezüge geringer und die Beiträge tendenziell höher. Welche Angebote macht die Politik? Das bedarf einer differenzierten Betrachtung“, unterstreicht der Wirtschaftsdidaktiker Günther Seeber. Deshalb benötigen die Menschen ein Verständnis der systemischen und institutionellen Zusammenhänge, um sich eine eigene Meinung bilden zu können.

Für junge Menschen ist es wichtig, sich frühzeitig mit diesen Fragen zu beschäftigen und finanzielle Entscheidungen treffen zu können. Doch wo sollen Jugendliche die wirtschaftlichen Kompetenzen hernehmen? Nur selten werden diese zu Hause gebildet. Dabei ist es gerade in der Sekundarstufe wichtig, sich angemessen auf das kommende Berufsleben vorzubereiten und wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen. Das Fach Wirtschaft wird in Rheinland-Pfalz nur als Wahlfach in Realschulen plus oder in Gymnasien und Gesamtschulen integriert in den Sozialkundeunterricht angeboten. Bei einer Studie, die schaute, wie viel ökonomische Bildung in deutschen Lehrplänen zu finden ist, landete Rheinland-Pfalz auf dem letzten Platz. „Eine Katastrophe“, so Seeber.

Schulfach Wirtschaft in Baden-Württemberg verpflichtend

2016 führte Baden-Württemberg als erstes und bislang einziges Bundesland in Deutschland das Fach Wirtschaft verpflichtend für die Sekundarstufe 1 in allen Schularten ein. Genauer gesagt, das Fach Wirtschaft / Berufs- und Studienorientierung (WBS). Im selben Jahr startete Seeber eine Langzeitstudie, in deren Leitung der Wirtschaftswissenschaftler Tim Kaiser 2017 mit Antritt seiner Juniorprofessur am Campus Landau einstieg.

Die beiden Forscher stellten sich in der Studie die Frage, ob die Einrichtung eines verpflichtenden Wirtschaftsfachs Einfluss auf die wirtschaftlichen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern nimmt. Auch wollten sie feststellen, ob sich der Fachunterricht auf die Einstellungen der jungen Menschen zu gewissen Phänomenen ändert, ob sie zum Beispiel wettbewerbsaffiner werden, weil sie etwas über die Marktmechanismen lernen. Darüber hinaus schauten Seeber und Kaiser, wie sich das generelle Interesse der Lernenden für wirtschaftliche Themen entwickelte.

Kompetenztests bei 12.000 Schülerinnen und Schülern

Seeber und Kaiser führten bei 12.000 Schülerinnen und Schülern aus Baden-Württemberg Kompetenztests durch. Damit überprüften sie nicht nur deren wirtschaftliches Wissen, sondern testeten auch, wie gut sie in der Lage sind, in relevanten Problemsituationen Lösungen zu finden. Die Schülerinnen und Schüler mussten die Kompetenztests am Ende des Schuljahres in Form von Fragebögen mit Multiple-Choice- und offenen Fragen bearbeiten.

Die erste Jahrgangsstufe, die diese Kompetenztests ausgehändigt bekam, waren Siebtklässler des Schuljahres 2015/16, also der letzte Jahrgang, der in Baden-Württemberg in der siebten Klasse keinen WBS-Unterricht hatte. Diesen als auch den Folgejahrgang – der erste mit Fachunterricht – begleiteten Seeber und Kaiser bis zur zehnten Klasse und verglichen beide miteinander. „Wir wollten die Kohorten über einen gewissen Zeitraum immer wieder miteinander vergleichen“, erklärt Kaiser. „Um zu sehen, wie groß oder unterschiedlich der Wissenszuwachs mit und ohne Fachunterricht ist, arbeiteten wir mit wiederholten Querschnitten von Schülerinnen und Schülern über die Zeit“.

Fragen in drei unterschiedlichen Inhaltsbereichen

Die Testhefte, die die Schülerinnen und Schüler am Ende des Schuljahres bekamen, bestanden in der Regel aus 30 Fragen. Bei der Evaluierung wurden unterschiedliche Items – also Bestandteile des Tests – unterschiedlich gewichtet. „Jedes Item, dass man löst, steht in einem bestimmten Zusammenhang mit einem unbeobachteten Merkmal, also der Kompetenz. Es gibt Items, die lösen Menschen mit geringer Kompetenz wahrscheinlicher und es gibt Items, die lösen Menschen mit hoher Kompetenz eher“, erklärt Kaiser.

Die Fragen des Kompetenztests wurden in drei Inhaltsbereiche aufgeteilt. Im ersten Teil ging es um Verbraucher. „Wir haben die Schülerinnen und Schüler zum Beispiel gefragt, was sie denken, warum manche Leute Fair-Trade-Produkte kaufen. Sie sollen erkennen, dass es unterschiedliche Präferenzen gibt, die unser Konsumverhalten beeinflussen“, führt Seeber aus. Im zweiten Teil ging es um Erwerbstätige. Die Jugendlichen sollten zum Beispiel erkennen, welche Karriereerwartungen sie bei unterschiedlichen Bildungsverläufen haben können. Der dritte Part befasste sich mit System und Ordnung. „Die Schülerinnen und Schüler sollen zum Beispiel erfassen, warum die Höhe von gesetzlichen Krankenversicherungsbeiträgen keine Auswirkung auf die ärztliche Leistung hat, sondern dass diejenigen weniger zahlen, die weniger verdienen. Sie sollen das Solidaritätsprinzip verstehen“, so Seeber.

Großer Effekt des Schulfachs auf die Kompetenz  vor allem im Gymnasium

Auch Marktmechanismen wie das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage sollten die Schülerinnen und Schüler erkennen und beurteilen lernen. Seeber: „Die Preisentwicklung bei Spargel und Benzin ist ein gutes Beispiel. Spargel ist ein saisonales Produkt, die Nachfrage ist also elastisch. Wenn er zu teuer wird, kaufen wir ihn nicht. Beim Benzin sinkt die Nachfrage trotz einer Preissteigung jedoch kaum. Solche Dinge sollen die Kinder erkennen und verstehen.“ Den Lernenden soll in dem Beispiel klar werden, dass Benzin zur Fortbewegung mit dem Auto gebraucht wird – unabhängig vom Preis – während wir auf Spargel verzichten könnten und so die Preismechanik durch das Prinzip von Angebot und Nachfrage nachvollziehen. Die beiden Forscher wollten auch wissen, wie unterschiedlich die Tests abhängig von Geschlecht, sozioökonomischem Standard der Eltern und anderen Hintergrundvariablen wie Sprache ausfallen. Ziel war ein interner Vergleich innerhalb der Kohorten.

Ein Ergebnis war, dass das Fach einen recht großen Effekt auf die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums hatte. Die Kompetenzen der beiden Jahrgänge im Gymnasium gingen sehr stark auseinander. Für den Vergleich wurde eine Punkte-Skala verwendet, ähnlich wie beim PISA-Test. Im Gymnasium war der Kompetenzunterschied der Kohorten recht hoch, sagt Kaiser. In anderen Schulformen sei das Fach vermeintlich weniger effektiv, statistisch sei dementsprechend auch der Unterschied zwischen den Kohorten etwas weniger sichtbar, aber tendenziell noch vorhanden. „Tendenziell profitieren alle Schülerinnen und Schüler hinsichtlich ihrer Wirtschaftskompetenz vom Fachunterricht“, sagt Seeber.

Einstellungen zu ökonomischen Themen ändern sich kaum

Bei sozioökonomisch schlechter gestellten Schülerinnen und Schülern verlief die Kompetenzentwicklung im Durchschnitt schwächer als in anderen Gruppen, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Das sei sowohl im Jahrgang mit Wirtschaft als Fach als auch im Jahrgang ohne Fachunterricht deutlich geworden. Auch bei Schülern, die schlecht Deutsch sprechen, seien die Ergebnisse in beiden Gruppen schlechter ausgefallen. Das Fach habe aber grundsätzlich auch bei den schwächeren Gruppen Wirkung gezeigt. „Es ist wichtig, im Fach Wirtschaft auch die Gruppen mitzunehmen, in denen das Elternhaus nicht die entsprechende Bildungsleistung erbringen kann. Sei es aufgrund der Sprache oder der eigenen Kompetenzen der Eltern“, sagt Seeber. Die Untersuchung bestätigte Ergebnisse vorangegangener Studien, dass sich Mädchen nicht so leicht für das Thema Wirtschaft interessieren lassen wie Jungs. „Das Fach muss also auch für Mädchen interessanter gestaltet werden. Da gibt es etwas zu tun“, sagt Seeber. Hilfreich könnten handlungs- und kommunikationsorientierte Methoden wie Schülerfirmen oder Rollenspiele sein. Eine Nebenerkenntnis ihrer Studie sei, dass Jungs wettbewerbsaffiner seien, Mädchen dafür eher Unternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung zusprechen.

Die Einstellungen zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen, die in den Bereich der Ökonomie fallen, würden sich zwischen den Kohorten mit Wirtschaft als Fach und denen ohne nicht stark unterscheiden, wie Kaiser berichtet. Einstellungen zu Themen wie sozialer Gerechtigkeit oder politische Präferenzen seien durch den Fachunterricht wenig bis gar nicht beeinflusst worden. „Wir hatten die Befürchtung, dass der Fachunterricht zu einer verengten Betrachtung der Ökonomik führt und dass das Erlernen von wirtschaftlichen Kompetenzen andere nicht-intendierte Effekte hervorruft, wie die unerwünschte einseitige Beeinflussung der Einstellungen der Kinder zu gesellschaftlich kontroversen Fragen. Das sehen wir aber nicht“, sagt Kaiser.

Mehr ausgebildete Lehrkräfte nötig

Seebers und Kaisers Datenerhebungen endeten mit dem Schuljahr 2020/21. Danach wurde die Langzeitstudie ausgewertet und in Journalpublikationen veröffentlicht. Diesen September wird der Abschlussbericht in Form eines Buches veröffentlicht. „Ökonomische Bildung sollte ein wesentlicher Bestandteil der schulischen Bildung in allen Bundesländern werden“, unterstreicht Seeber. Dazu brauche es aber nicht nur eine curriculare Regelung, sondern auch entsprechend ausgebildete Lehrkräfte. Weit mehr als die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland besuchen Gesamtschulen oder Gymnasien, wo es Wirtschaft nur als Wahlfach oder Teil der Sozialkunde gibt. Das Fach würden in der Regel politikdidaktische Lehrkräfte unterrichten, die Wirtschaft nebenbei unterrichten und dabei eigene Schwerpunkte setzen, so Seeber. „Die zukünftigen Politiklehrkräfte in Rheinland-Pfalz belegen in ihrem Studium nicht einmal ein Modul in Wirtschaft. Hier besteht großer Bedarf, wenn sich die Bildungspolitik dazu entscheidet, ökonomischen Bildung verpflichtend zu unterrichten“, so Seeber. Seine Empfehlung: bei der Ausbildung von Lehrkräften die ökonomische Bildung stärker miteinbeziehen. Auch müsse überlegt werden, wie Mädchen besser für wirtschaftliche Themen adressiert werden können, so Seeber. Bei sozioökonomisch benachteiligten Gruppen müsse auf höherer Ebene fördernd eingegriffen werden.

Abteilung Wirtschaftswissenschaft 

Die Abteilung Wirtschaftswissenschaft im Institut für Sozialwissenschaften ist eine organisatorische Einheit an der Universität mit unterschiedlichen Forschungs- und Lehrgebieten wie der Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre und der Wirtschaftsdidaktik. Gemeinsames Ziel der Forschung ist es, die Entscheidungen und das Verhalten von Individuen in drei Phasen des Erwerbslebens zu erklären: die Phase der Vorbereitung auf die Erwerbstätigkeit (Bildung), die Erwerbsphase und die Ruhestandsphase. Die Forschenden der Abteilung identifizieren Einflussfaktoren und Auswirkungen individueller Entscheidungen und Verhaltensweisen und rücken insbesondere deren arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitischen sowie intraorganisationalen Rahmenbedingungen in den Fokus.

Prof. Dr. Günther Seeber ist Professor für Wirtschafts- wissenschaft und ihre Didaktik und befasst sich seit mehreren Jahrzehnten mit der ökonomischen Bildung. Er stellt sich aktuell vor allem Fragen der Kompetenzentwicklung und -erfassung. Er hat viele verschiedene internationale Projekte im Fachbereich betreut. Foto: privat

Jun.-Prof. Dr. Tim Kaiser ist Professor für Wirtschafts- wissenschaft und Wirtschaftsdidaktik. Er ist an der Universität Koblenz-Landau zuständig für die Didaktik der Wirtschaftswissenschaft und für die mikroökonomisch ausgerichtete Volkswirtschafslehre, insbesondere Bildungsökonomik. Er nutzt die Brücke beider Disziplinen insbesondere um empirische Forschungsmethoden der Ökonomik auch in die Fachdidaktik zu transferieren. Foto: privat

Weiterführende Literatur (eine Auswahl)

Körber, L., Seeber, G., Haustein, B., Hentrich, S. (2018). Geschlecht, Schulart und Unterricht als Kontextfaktoren ökonomischer Kompetenz – Ergebnisse der WIKO·BW-Studie, in: Arndt, H. (Hrsg.) Intentionen und Kontexte ökonomischer Bildung, Schwalbach/Ts.: Wochenschau, 10-24.

Seeber, G. (2019): Langzeitprojekt Wirtschaftskompetenz, in: Unterricht Wirtschaft + Politik, 9 (4), S. 48-53.

Seeber, G., Kaiser, T., Oberrauch, L., Eberle, M. & Walter, C. (2020). Das Schulfach Wirtschaft / Berufs- und Studienorientierung: Effekte auf die ökonomischen Kompetenzen und Einstellungen Jugendlicher in Klasse 7 und 8. Swiridoff.

Seeber, G., Körber, L., Hentrich, S., Rolfes, T. & Haustein, B. (2018). Ökonomische Kompetenzen Jugendlicher in Baden-Württemberg: Testergebnisse für die Klassen 9, 10 und 11 der allgemeinbildenden Schulen. Swiridoff.

Kaiser, T. & Oberrauch, L. (2021). Economic Education at the expense of indoctrination? Evidence from Germany. ZBW – Leibniz Information Centre for Economics, Kiel, Hamburg.

Kaiser, T., Oberrauch, L. & Seeber, G. (2020). Measuring Economic Competence of Secondary School Students in Germany. Journal of Economic Education, 51(3-4), 227–242.

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