Die Menschenrechte und die Lehramtsbildung

Fast alle Länder der Welt einigten sich 1948 auf 30 Menschenrechte. Jeder soll so die gleichen Rechte und Freiheiten haben. Foto: Colourbox

Die Lage der Menschenrechte ist an vielen Orten der Welt äußerst fragil. Das zeigt sich einmal mehr angesichts der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar. Wie sich das Wissen über und das Eintreten für Menschenrechte stärken lässt, untersucht Religionspädagogik-Professor Dr. Matthias Bahr.

Die Fußballweltmeisterschaft hat Katar in den Fokus der Öffentlichkeit katapultiert. Nicht nur wegen der Fußballspiele. Die Entscheidung des Weltfußballverbandes FIFA, die WM überhaupt dort stattfinden zu lassen, steht in der Kritik: Unter anderem, weil das arabische Land ein Problem mit den Menschenrechten zu haben scheint: Frauen werden diskriminiert. Homosexualität ist verboten. Und angesichts der WM-Baumaßnahmen sahen sich Gastarbeiter extrem schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen ausgesetzt.

Der Blick auf die katarische Menschenrechtslage verursacht hierzulande Bauchschmerzen. Nicht ohne Grund: In der westlichen Welt sind die Menschenrechte schon fast etwas Selbstverständliches: jene Freiheits- und Autonomierechte, die jedem Menschen allein aufgrund seines Menschseins zustehen und die am 10. Dezember 1948 von den Mitgliedsländern der Vereinten Nationen beschlossen wurden – angesichts der Ereignisse des Zweiten Weltkriegs. Das Recht auf Nahrung, das Recht auf Frieden und Sicherheit sowie das Recht auf eine eigene Meinung gehören dazu.

Damit man eine Verletzung von Menschenrechten erkennen kann – man also beim Blick auf Geschehnisse wie in Katar hellhörig wird – ist Menschenrechtsbildung wichtig. Oder anders ausgedrückt: Es geht um Bewusstseinsbildung dafür, was Menschenrechte sind. Und dazu gehört auch das Erkennen, wann, wo und wie diese verletzt werden, wie sie verwirklicht werden können und danach zu fragen, welche Handlungsmöglichkeiten gegeben sind, um ihren Stellenwert zu erhöhen. Eine Sensibilisierung dafür kann in Schulen stattfinden, angeregt von Lehrerinnen und Lehrern aber auch durch die Sensibilität von Schülerinnen und Schülern selbst.

Aneignung von Wissen über Menschenrechte – und sich daraus ableitende Handlungsaufforderungen 

„Die Vermittlung von Wissen über Menschenrechte und die sich daraus ableitenden Handlungsaufforderungen sind von zentraler gesellschaftlicher Bedeutung“, sagt der Theologe Prof. Dr. Matthias Bahr, der im Bereich der Religionspädagogik forscht und lehrt. Der Fachbereich für Kultur- und Sozialwissenschaften am Campus Landau, dem Matthias Bahr angehört, sehe deshalb das Thema Menschenrechtsbildung als einen zentralen, fächerübergreifenden Bezugspunkt der Lehramtsausbildung. Im Rahmen der Arbeitsstelle Menschenrechtsbildung bestehen darüber hinaus Kooperationen mit inner- und außeruniversitären Partnern vor Ort, in der Region sowie im internationalen Kontext, „die uns dabei unterstützen, das Thema der Menschenrechte wirkungsvoll in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken“. Eine zentrale Standortbestimmung des Vorhabens ist das im Dezember 2015 publizierte Landauer Manifest zur Menschenrechtsbildung.

Menschenrechte in der Lehramtsbildung: Innovative Wege finden

Aber wie sieht das konkret aus? Wie lässt sich das Thema Menschenrechte in der Lehramtsbildung verstärkt verankern? Matthias Bahr nennt ein aktuelles Forschungsprojekt, das sein Team vom Campus Landau gemeinsam mit der Politikdidaktik am Campus Kaiserslautern – dort mit Jun.-Prof. Dr. Inken Heldt – umsetzt. Das Projekt nennt sich DIALOG und ist im Mai 2022 an den Start gegangen: „Es geht um den interdisziplinären, standortübergreifenden Austausch zwischen den Natur-und Technikwissenschaften einerseits und den Kultur- und Sozialwissenschaften andererseits. Und das entlang der inhaltlichen Klammer der Menschenrechte.“ Und der Professor für Religionspädagogik ergänzt: „Wir wollen ausarbeiten, wie Lehramtsstudierende aus verschiedenen Fachbereichen und Fächern gesellschaftlich relevante Themen aus sich möglicherweise ergänzenden Perspektiven untersuchen und in ihrer menschenrechtlichen Bedeutung einschätzen lernen.“

Ganz konkret werde im Projekt beispielsweise das Thema Ammoniak-Herstellung behandelt  – was eine ganz handfeste Ursache hat: „Reste eines entsprechenden Reaktors, Baujahr 1938, findet man auf dem Gelände des Campus Kaiserslautern.“ Die Erfindung des Verfahrens zur Herstellung von Ammoniak sei, so Bahr, ein Segen gewesen – aber eben nicht nur. Gemeint ist das Haber-Bosch-Verfahren zur Synthese von Ammoniak, das Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde. Ammoniak wird für die Herstellung von Düngemitteln genutzt, die für die Ernährung der Weltbevölkerung unersetzlich sind. „Gleichzeitig dient Ammoniak aber auch der Herstellung von Sprengstoffen“, benennt Matthias Bahr die andere Seite der Medaille. Diese Ambivalenz wiederum könne ethische Fragen aufwerfen. „Wir wollen Lehramtsstudierende verschiedener Fachrichtungen anleiten, solche Themen von mehreren Richtungen aus zu betrachten“, im konkreten Fall also nicht nur von der rein naturwissenschaftlichen.

Ziel des Projekts DIALOG ist die Entwicklung kompakter Lehr-/Lernbausteine, die die Lehramtsausbildung fächer- und standortübergreifend bereichern können. Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten der Bausteine sind denkbar: „Das kann beispielsweise ein Online-Kurs zum Erwerb eines Zertifikats sein. Die Studierenden erhalten dabei konzentriert einen Zugang zu Bild, Text oder Videomaterial.“ Matthias Bahr differenziert weiter: „Es geht dabei nicht um konkretes Unterrichtsmaterial, sondern darum, den Lehramtsstudierenden Impulse anzubieten.“ Was könnte das im Fall des Bausteins zur Ammoniaksynthese sein? „Eine alte Postkarte beispielsweise, mit der man damals Werbung für das Düngen gemacht hat. Und die beschönigend zeigt, wie erfolgreich Landwirte sind, dank Ammoniak.“ Studierende sollen so Ideen bekommen und diese später bei der Unterrichtsgestaltung umsetzen. „Wir sind derzeit  in der intensiven Phase der Entwicklung.“ Auch eine Evaluation der Bausteine ist vorgesehen. So ließe sich etwa Material, das von Studierenden auf Grundlage des Online-Kurses ausgearbeitet wurde, qualitativ untersuchen, erklärt Matthias Bahr. 

Bewusstsein schärfen: Trinationales Musikprojekt

Auch andere Konzepte im Bereich der Menschenrechtsbildung am Campus Landau vermitteln Denkanstöße: Dazu gehört das trinationale Musikprojekt „Youth. Europe. Music. Das Weimarer Dreieck der Jugend – musikalisch belebt“. Die Kooperation der Universität mit drei Musikschulen aus Polen, Frankreich und Deutschland entwickelt für Jugendliche Zugänge zu einer kritisch-politischen Bildung. Neben gemeinsamen, trinationalen Erkundungen etwa in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau, Bunkern der Maginot-Linie oder den Aufbrüchen des Hambacher Schlosses werden auch musikalische Zugänge erarbeitet, die die Freiheitsgeschichte der drei Nationen in den Mittelpunkt stellen. Matthias Bahr: „Inspirierend ist zum Beispiel ein Arrangement aus polnischen, französischen und deutschen Freiheitsliedern“. Werden diese vor Gästen aus Deutschland, Frankreich und Polen gespielt, dann gibt es das beeindruckende Aha-Erlebnis: „Jeder und jede hört seine und ihre eigene Freiheitsmelodie, wie die anderen gleichzeitig auch ihre Freiheitsmelodien hören.“ So kann sich zeigen: „Das Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung war immer schon da, und es lässt sich nicht dauerhaft unterdrücken.“

„Relevanz und Brisanz des Themas haben zugenommen“ 

Und welche Erkenntnisse zieht Matthias Bahr aus seiner bisherigen Arbeit im Bereich der Menschenrechtsbildung? „Die Relevanz und die Brisanz des Themas haben zugenommen.“ Viele Themen seien heute präsenter als noch vor ein paar Jahren, auch in westlichen Gesellschaften. Matthias Bahr nennt als Beispiel die politische Situation in den USA – und die dort mittlerweile gängige „beschädigende Sprache“.

Was wünscht er sich für die weitere Entwicklung seiner Vorhaben im Bereich der Menschenrechtsbildung? „Dass das Thema insgesamt stärker in der Lehramtsbildung in Rheinland-Pfalz verankert ist.“ Inklusion und Digitalisierung seien wichtig – dieses Querschnittsthema aber eben auch. „Wir müssen das Bewusstsein stärken, welchen Schatz wir hier in Deutschland haben.“ Das Grundgesetz etwa sorge dafür, dass ein Rahmen existiert, der Willkür und Rechtsbeugung verhindert und auf Zeit verliehene Macht verantwortlich und friedlich weitergereicht werden kann. „Die Welt hat beeindruckt auf Deutschland geschaut, wie reibungslos die Machtübergabe nach der Bundestagswahl 2021 vonstatten gegangen ist. So etwas müssen wir schützen.“ 

Und das betrifft dann auch weitere Projekte, etwa wenn man sich im Rahmen der Menschenrechtsbildung mit dem Thema Digitalisierung kritischer auseinandersetzt. Austauschplattformen im Netz seien ja schön und gut. „Man muss sich bei Social Media aber auch die Frage stellen können, welche Interessen im Hintergrund agieren und auch manipulative Prozesse einschließen, die Individuen oder das Gemeinwesen gefährden können.“ Das alles ist aber keineswegs ein Nebenschauplatz von Freizeitgestaltung oder allgemeinem Nutzerverhalten, es betrifft auch das wissenschaftliche Arbeiten selbst, auch in der Lehramtsbildung. Keineswegs ist nur das relevant, was sich „googeln“ lässt – es gibt durchaus entscheidende Informationsquellen, wie man sie auf wissenschaftlichen Open-Access-Plattformen oder – ganz „old school“ – in Bibliotheken findet. 

Das weiß man auch in Katar. Die 2018 mit einer Millionen Büchern eröffnete „Qatar National Library“ ist die erste öffentlich zugängliche Bibliothek in Katar überhaupt. Wandel ist also möglich. Vielleicht kann ja auch die Fußball-WM dazu beitragen, den Blick auf die Menschenrechte und für Menschenrechtsbildung zu schärfen – unabhängig davon, welche Mannschaft schließlich den Cup in die Höhe stemmt. „Denn wenn dieses Bildungsanliegen weitere Kreise ziehen würde, dann wäre damit ein wirklicher Sieg errungen.“

Prof. Dr. Matthias Bahr lehrt Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts am Campus Landau und ist Wissenschaftlicher Leiter der ‚Arbeitsstelle Menschenrechtsbildung‘ im Fachbereich 6: Kultur- und Sozialwissenschaften am Campus Landau. Er studierte an der Theologischen Fakultät Paderborn und an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Von 1986 bis 1992 absolvierte er ein Promotionsstudium im Fach Religionspädagogik. Ab 1996 war er Akademischer Rat, ab 2003 Akademischer Oberrat  am Lehrstuhl für Praktische Theologie der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Regensburg (Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts). 2001 erhielt er den Förderpreis für innovative Projekte in der wissenschaftlichen Lehrerbildung des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV). Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist seit 1996 die Entwicklung von Lehrwerken für den Katholischen Religionsunterricht, seit 2017 gibt er das Unterrichtswerk ‚Religion verstehen‘ für die Sekundarstufe mit heraus, durch das auch Akzente der Menschenrechtsbildung in den Katholischen Religionsunterricht hineingetragen werden. Matthias Bahr ist u.a. Mitglied im Rat der Stiftung für die Internationale Jugendbegegnungsstätte in Oświęcim/Auschwitz (Polen). Foto: privat

Wissenschaftliche Veröffentlichungen:

Matthias Bahr/ Bettina Reichmann/ Christine Schowalter (Hg.): Menschenrechtsbildung: Handreichung für Schule und Unterricht, 1. Aufl. Ostfildern: Matthias Grünewald Verlag 2018

Matthias Bahr/ Peter Poth/ Mirjam Zadoff (Hg.): »Aus der Erinnerung für die Gegenwart leben«. Geschichte und Wirkung des Shoah-Überlebenden Ernst Grube, 1. Aufl. Göttingen Wallstein Verlag 2022.

weitere Veröffentlichungen hier.

 

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